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Angriff der Tapferkeit
Morgan Rice


Ring der Zauberei #6
In ANGRIFF DER TAPFERKEIT (Band #6 im Ring der Zauberei) verfolgt Thor seine Mission, das gestohlene Schwert des Schicksals zurückzubringen, um den Ring zu retten, weiter. Sie führt ihn immer tiefer in das Reich des Empires. Als er und seine Freunde unerwartet eine Tragödie erleben und sie ein Mitglied ihrer Gruppe verlieren, schweißt sie das enger zusammen als je zuvor. Sie erkennen, dass sie nur gemeinsam die Widrigkeiten, die sich ihnen in den Weg stellen, überwinden können. Ihre Reise führt sie in neue und exotische Gegenden wie die Salt Fields, den Großen Tunnel und die Feuerberge, wo sie sich an jeder Biegung des Weges neuen Monstern stellen müssen… Thors Fertigkeiten vertiefen sich, als er seine bisher anspruchsvollste Ausbildung durchläuft. Wenn er überleben will, wird er auf Kräfte zurückgreifen müssen, die größer sind, als alles, was er je benutzt hat. Schließlich finden sie heraus, wohin das Schwert gebracht wurde, und erfahren, dass sie sich, um es zurückzuholen, an den gefürchtetsten Ort des Reiches wagen müssen: das Land der Drachen… Zu Hause im Ring erholt sich Gwendolyn langsam und kämpft nach dem Angriff auf sie mit einer tiefen Depression. Kendrick und die anderen schwören, für ihre Ehre zu kämpfen, auch wenn die Chancen gegen sie stehen. Es folgt die größte Schlacht in der Geschichte des Rings und sie kämpfen, um Silesia zu befreien und Andronicus zu besiegen… In der Zwischenzeit schleicht sich Godfrey verkleidet hinter die feindlichen Linien und lernt auf seine ganz eigene Art und Weise, was es heißt, ein Krieger zu sein. Gareth hat irgendwie geschafft, zu überleben. Er musste all seine Gerissenheit aufbringen, um sich der Gefangennahme durch Andronicus zu entziehen. Währenddessen kämpft Erec um sein Leben, für die Rettung Savarias vor der Invasion von Andronicus� Armee – und für die Liebe seines Lebens, Alistair. . Argon zahlt einen hohen Preis für seine Einmischung in die Angelegenheiten der Menschen. Und Gwendolyn muss entscheiden, ob sie ihr Leben aufgeben, oder sich in den Tower of Refuge für ein abgeschiedenes Leben zurückziehen will… Doch nicht bevor Thor in einer schockierenden Wendung erfährt, wer sein wirklicher Vater ist… Werden Thor und die anderen ihre Mission überleben? Werden sie das Schwert des Schicksals finden? Wird der Ring Andronicus� Invasion überleben? Was wird aus Gwendolyn, Kendrick und Erec? Und wer ist Thors wirklicher Vater?. Mit ihrem ausgeklügelten Aufbau der Welten und Charaktere ist der ANGRIFF DER TAPFERKEIT eine epische Geschichte von Freunden und Liebhabern, von Rivalen und Gefolgsleuten, von Rittern und Drachen, von Intrigen und politischen Machenschaften, vom Erwachsenwerden, von gebrochenen Herzen, Täuschung, Ehrgeiz und Verrat. Es ist eine Geschichte von Ehre und Mut, von Schicksal und Bestimmung, und von Zauberei. Es ist eine Fantasie, die uns in eine Welt bringt, die wir nie vergessen werden, und die für alle Altersgruppen und Geschlechter gleichermaßen ansprechend wirkt.





Morgan Rice

ANGRIFF DER TAPFERKEIT




A N G R I F FВ  D E RВ  T A P F E R K E I T




(BUCH #6 IM RING DER ZAUBEREI)




MORGAN RICE



Morgan Rice

Morgan Rice ist #1 Bestseller-Autor und USA Today-Bestsellerautor der epischen Fantasy-Serie RING DER ZAUBEREI, die siebzehn Bücher umfasst; der Bestseller-Serie WEG DER VAMPIRE, bestehend aus zwölf Büchern; der Bestseller-Serie TRILOGIE DES ÜBERLEBENS, einem postapokalyptischen Thriller mit drei Büchern; der epischen Fantasy-Serie VON KÖNIGEN UND ZAUBERERN, bestehend aus sechs Büchern; der epischen Fantasy-Serie FÜR RUHM UND KRONE, bestehend aus acht Büchern; der epischen Fantasy-Serie EIN THRON FÜR SCHWESTERN, bestehend aus acht Büchern; der neuen Science-Fiction-Serie CHRONIK DER INVASION mit vier Büchern; der Fantasy-Serie OLIVER BLUE UND DIE SCHULE FÜR SEHER, bestehend aus vier Büchern; der Fantasy-Serie DER WEG DES STAHLS, bestehend aus vier Büchern; und der neuen Fantasy-Serie DAS ZEITALTER DER MAGIER. Morgans Bücher sind in Audio- und Printausgaben erhältlich, und Übersetzungen sind in über 25 Sprachen erhältlich.



Morgan freut sich, von Ihnen zu hören. Besuchen Sie also www.morganricebooks.com (http://www.morganricebooks.com/), um sich in die E-Mail-Liste einzutragen, ein kostenloses Buch und kostenlose Werbegeschenke zu erhalten, die kostenlose App herunterzuladen, die neuesten exklusiven Nachrichten zu erhalten und sich auf Facebook und Twitter zu verbinden. Und bleiben Sie in Kontakt!



Ausgewähltes Kritikerlob für Morgan Rice

"Wenn Sie glaubten, dass es nach dem Ende der Serie RING DER ZAUBEREI keinen Grund mehr zum Leben gäbe, haben Sie sich geirrt. Mit DER AUFSTAND DER DRACHEN hat Morgan Rice eine weitere brillante Serie entwickelt, die uns in eine Fantasy-Welt von Trollen und Drachen, von Tapferkeit, Ehre, Mut, Magie und Schicksal entführt. Morgan hat es wieder geschafft, starke Figuren zu kreieren, mit denen wir auf jeder Seite mitfiebern. Eine Bereicherung für die Bibliothek aller Leser, die eine gut geschriebene Fantasystory lieben.“



    – Books and Movie Reviews, Roberto Mattos



"Eine actiongeladene Fantasystory, die Fans von Morgan Rices früheren Romanen und Fans von Werken wie DIE ERAGON-TETRALOGIE von Christopher Paolini begeistern wird. Fans von Fiktion für junge Erwachsene werden diese neueste Arbeit von Rice verschlingen und um mehr bitten.“



    – The Wanderer, A Literary Journal (zu Der Aufstand der Drachen)



„Eine temperamentvolle Fantasy-Erzählung, die Elemente von Geheimnis und Intrige in ihre Handlung einbindet. Bei Queste der Helden geht es darum, den Mut zu finden, seiner Bestimmung zu folgen, die zu Wachstum, Reife und Brillanz führt. Wer kraftvolle Fantasy-Abenteuer sucht, wird von den Protagonisten und Aktionen dieser Erzählung mit packenden Begegnungen belohnt. Thors Entwicklung von einem verträumten Kind zu einem jungen Erwachsenen mit unmöglichen Überlebenschancen findet vor diesem mitreißenden Hintergrund statt. Der Beginn einer epischen Serie für junge Erwachsene.“



    – Midwest Book Review (D. Donovan, eBook-Rezensent)



“Der Ring der Zauberei hat alle Zutaten für einen umgehenden Erfolg: Komplotte, Gegenkomplotte, Geheimnisse, tapfere Ritter und junge, erblühende Beziehungen voller gebrochener Herzen, Täuschung und Verrat. Es wird Ihnen stundenlange Unterhaltung verschaffen und alle Altersgruppen begeistern. Eine Bereicherung für die Bibliothek aller Fantasy-Leser.“



    – Books and Movie Reviews, Roberto Mattos



„In diesem actiongeladenen ersten Buch der epischen Fantasy-Reihe Ring der Zauberei (die derzeit 14 Bücher umfasst) stellt Rice den Lesern den 14-jährigen Thorgrin "Thor" McLeod vor, dessen Traum es ist, sich der Silberlegion anzuschließen, den Elite-Rittern des Königs. Rices Stil ist wasserdicht und die Prämisse faszinierend. “



    – Publishers Weekly



BГњCHER VON MORGAN RICE




DAS ZEITALTER DER MAGIER

REICH DER DRACHEN (BUCH #1)

THRON DER DRACHEN (BUCH #2)

VON DRACHEN GEBOREN (BUCH #3)


OLIVER BLUE UND DIE SCHULE FГњR SEHER

DIE ZAUBERFABRIK (BUCH #1)

DIE KUGEL VON KANDRA (BUCH #2)

DIE OBSIDIANE (BUCH #3)

DAS FEUERZEPTER (BUCH #4)


DIE INVASIONSCHRONIKEN

ГњBERMITTLUNG (BUCH #1)

ANKUNFT (BUCH #2)


DER WEG DES STAHLS

EHRE WEM EHRE GEBГњHRT (BUCH #1)

NUR DEN TAPFEREN (BUCH #2)

NUR DEN AUSERWГ„HLTEN (BUCH #3)


EIN THRON FГњR SCHWESTERN

EIN THRON FГњR SCHWESTERN (BUCH #1)

EIN GERICHT FГњR DIEBE (BUCH #2)

EIN LIED FГњR WAISEN (BUCH #3)

EIN KLAGELIED FГњR DIE PRINZESSIN (BUCH #4)

EIN JUWEL FГњR KГ–NIGE (BUCH #5)

EIN KUSS FГњR KГ–NIGINNEN (BUCH #6)

EINE KRONE FГњR MГ–RDER (BUCH #7)

EIN HГ„NDEDRUCK FГњR THRONERBEN (BUCH #8)


FГњR RUHM UND KRONE

SKLAVIN, KRIEGERIN, KГ–NIGIN (BUCH #1)

SCHURKIN, GEFANGENE, PRINZESSIN (BUCH #2)

RITTER, THRONERBE, PRINZ (BUCH #3)

REBELL, SCHACHFIGUR, KГ–NIG (BUCH #4)

SOLDAT, BRUDER, ZAUBERER (BUCH #5)

HELD, VERRГ„TER, TOCHTER (BUCH #6)

HERRSCHER, RIVALE, VERBANNTE (BUCH #7)

SIEGER, BESIEGTER, SOHN (BUCH #8)


VON KГ–NIGEN UND ZAUBERERN

DER AUFSTAND DER DRACHEN (BUCH #1)

DER AUFSTAND DER TAPFEREN (BUCH #2)

DAS GEWICHT DER EHRE (BUCH #3)

DIE SCHMIEDE DES MUTS (BUCH #4)

EIN REICH DER SCHATTEN (BUCH #5)

DIE NACHT DER VERWEGENEN (BUCH #6)




VON KГ–NIGEN UND ZAUBERERN: EINE KURZGESCHICHTE




DER RING DER ZAUBEREI

QUESTE DER HELDEN (BUCH #1)

MARSCH DER KГ–NIGE (BUCH #2)

FESTMAHL DER DRACHEN (BUCH #3)

KAMPF DER EHRE (BAND #4)

DER SCHWUR DES RUHMS (BAND #5)

ANGRIFF DER TAPFERKEIT (BAND #6)

RITUS DER SCHWERTER (BAND #7)

GEWГ„HR DER WAFFEN (BAND #8)

HIMMEL DER ZAUBER (BAND #9)

MEER DER SCHILDE (BAND #10)

REGENTSCHAFT DES STAHLS (BAND #11)

LAND DES FEUERS (BAND #12)

DIE HERRSCHAFT DER KГ–NIGINNEN (BAND #13)

DER EID DER BRГњDER (BAND #14)

DER TRAUM DER STERBLICHEN (BAND #15)

DAS TOURNIER DER RITTER (BAND #16)

DAS GESCHENK DER SCHLACHT (BAND #17)


DIE TRILOGIE DES ГњBERLEBENS

ARENA EINS: DIE SKLAVENTREIBER (BAND #1)

ARENA ZWEI (BAND #2)


DER WEG DER VAMPIRE

GEWANDELT (BAND #1)

VERGГ–TTERT (BAND #2)

VERRATEN (BAND #3)

BESTIMMT (BAND #4)

BEGEHRT (BAND #5)

VERMГ„HLT (BAND #6)

GELOBT (BAND #7)

GEFUNDEN (BAND #8)

ERWECKT (BAND #9)

ERSEHNT (BAND #10)

BERUFEN (BAND #11)

BESESSEN (BAND #12)


GEFALLENE VAMPIRE

VOR DEM MORGENGRAUEN (BUCH #1)



Wussten Sie, dass ich mehrere Serien geschrieben hat? Wenn Sie noch nicht alle kennen, klicken Sie einfach auf einen der Titel und holen Sie sich den Serienauftakt!






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Copyright © 2013 by Morgan Rice. Alle Rechte vorbehalten. Außer mit Genehmigung unter dem U.S. Copyright Act von 1976 darf kein Teil dieser Veröffentlichung vervielfältigt, weitergegeben oder in jedweder Form durch jegliche Mittel übertragen oder in einer Datenbank oder einem Speichersystem gespeichert werden, ohne ausdrückliche Genehmigung des Autors. Dieses eBook ist rein für Ihre persönliche Unterhaltung lizenziert.  Dieses eBook darf nicht weiterverkauft oder an andere Leser weitergegeben werden. Wenn Sie dieses Buch gerne mit anderen Personen teilen möchten, erwerben Sie bitte eine weitere Kopie für jeden weiteren Leser. Wenn Sie dieses eBook lesen ohne eine eigene Kopie erworben zu haben, geben Sie es bitte zurück und erwerben Sie eine eigene Kopie. Vielen Dank, dass Sie die harte Arbeit des Autors respektieren. Dieses Buch beruht auf Fiktion. Namen, Charaktere, Unternehmen, Organisationen, Orte, Ereignisse und Gegebenheiten sind entweder vom Autor ausgedacht oder fiktional verwendet. Jede Ähnlichkeit zu real existierenden Personen, lebend oder verstorben, ist absolut zufällig. Coverbild Copyright  Unholy Vault Designs, lizenziert durch Shutterstock.com.


“Der Feige stirbt schon vielmal, eh er stirbt,
Die Tapferen kosten einmal nur den Tod.”

В В В В --William Shakespeare
В В В В Julius Caesar






KAPITEL EINS


Gwendolyn lag mit dem Gesicht nach unten im Gras und spГјrte, wie der kalte Winterwind Гјber ihre nackte Haut wehte. Als sich ihre Augenlider flatternd Г¶ffneten, rГјckte die Welt langsam wieder in den Fokus. Sie war an einem Ort weit weg von hier, auf einer sonnenbeschienenen Blumenwiese mit Thor und ihrem Vater gewesen. Alle hatten sie gelacht und waren glГјcklich. Die Welt war perfekt gewesen.

Doch nun, als sie sich zwang, ihre Augen zu öffnen, hätte die Welt vor ihr nicht anders sein können. Der Boden war hart, kalt und über ihr richtete sich langsam nicht ihr Vater, nicht Thor, sondern ein Monster auf: McCloud. Er war fertig mit ihr, stand auf und zog seine Hose hoch und sah mit zufriedenem Blick auf sie herab.

Plötzlich erinnerte sie sich wieder an alles: Wie sie sich von Andronicus hatte gefangen nehmen lassen. Sein Verrat. McCloud, der sie angegriffen hatte. Ihre Wangen wurden rot vor Scham darüber, wie naiv sie gewesen war.

Sie lag da, ihr ganzer Körper schmerzte, ihr Herz brach, und am liebsten wäre sie gestorben.

Gwendolyn öffnete ihre Augen weiter und sah Andronicus� Armee, unzählige Krieger, die alle die Szene mitangesehen hatten, und sie schämte sich noch mehr. Sie hätte sich niemals dieser Kreatur ergeben sollen. Viel lieber wäre sie kämpfend untergegangen. Sie hätte auf Kendrick und die anderen hören sollen. Andronicus hatte ihren Impuls, sich für ihr Volk zu opfern ausgenutzt, und sie war auf ihn hereingefallen. Sie wünschte sich, ihm im Kampf begegnet zu sein: Selbst wenn sie gestorben wäre, wäre sie zumindest mit Würde und Ehre gestorben.

Gwendolyn wusste mit Sicherheit zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie bald sterben würde. Doch irgendwie störte sie das nicht mehr. Ob sie starb oder lebte war ihr egal, aber nicht die Art, wie sie starb. Sie war noch nicht bereit. Sie wollte zu ihren eigenen Bedingungen sterben.

Als sie so mit dem Gesicht nach unten dalag, griff Gwen heimlich nach einem Klumpen Dreck.

„Du darfst jetzt aufstehen, Weib“, befahl McCloud grob. „Ich bin fertig mit dir. Es ist Zeit, dass die anderen auch ihren Spaß mit dir haben.“

Gwen umgriff den Dreckklumpen so fest, dass ihre Handknöchel weiß hervortraten, und betete, dass es funktionieren würde.

In einer schnellen Bewegung fuhr sie herum und warf McCloud den Dreck in die Augen. Er hatte nicht damit gerechnet, schrie und stolperte rückwärts, während er versuchte, sich den Dreck aus den Augen zu wischen.

Gwen nutzte ihren Vorteil. In King’s Court aufgewachsen, war sie von den Kriegern des Königs aufgezogen worden, und sie hatten ihr beigebracht, immer ein zweites Mal anzugreifen, bevor der Feind die Gelegenheit hatte, sich zu erholen. Sie hatten ihr auch noch etwas anderes gelehrt: Ob sie nun eine Waffe trug oder nicht, sie war immer bewaffnet. Sie konnte immer die Waffen des Feindes verwenden. Gwen sprang auf, zog den Dolch aus McClouds Gürtel und rammte ihn zwischen seine Beine.

McCloud schrie noch lauter, riss die Hände von seinen Augen und griff sich zwischen die Beine. Blut floss seine Beine herunter und er zog keuchend den Dolch heraus.

Sie war stolz über diesen Treffer, darüber, dass es ihr gelungen war, zumindest eine kleine Rache an ihm zu nehmen. Doch sehr zu ihrer Überraschung machte ihn die Verletzung, die jeden anderen zu Boden geschickt hätte, nicht einmal langsamer in seinen Bewegungen. Dieses Monster war unaufhaltsam. Sie hatte ihn schwer verwundet, genau da, wo er es am meisten verdiente, doch sie hatte ihn nicht getötet. Er sank noch nicht einmal auf die Knie!

Stattdessen zog McCloud den blutüberströmten Dolch heraus und grinste mit einem tödlichen Blick auf sie herab. Er beugte sich über sie, hielt den Dolch mit zitternden Händen umklammert und Gwendolyn wusste, dass ihre Zeit gekommen war. Doch wenigstens würde sie mit einem kleinen Bisschen Genugtuung sterben.

„Ich werde dein Herz herausschneiden und es dir in den Rachen stopfen!“, schrie er. „Mach dich bereit zu erfahren, was richtiger Schmerz ist!“

Gwendolyn bereitete sich darauf vor, den Dolch zu spüren, eines schmerzvollen Todes zu sterben. Sie hörte einen markerschütternden Schrei und einen Augenblick später erkannte Gwendolyn überrascht, dass es nicht ihr eigener Schrei war. Es war McCloud, der unter Qualen kreischte. Sie senkte ihre Arme und blickte verwirrt auf. McCloud hatte den Dolch fallen gelassen. Sie blinzelte ein paarmal und versuchte zu verstehen, was vor ihren Augen geschah.

McCloud stand vor ihr und ein Pfeil ragte aus seinem Auge. Er schrie unaufhörlich. Blut quoll aus der Augenhöhle und er griff nach dem Pfeil. Sie verstand nicht. Jemand hatte auf ihn geschossen. Aber wie? Und wer?

Gwen drehte sich in die Richtung herum, aus der der Pfeil gekommen war, und ihr Herz machte einen Sprung, als sie Steffen mit seinem Bogen inmitten einer groГџen Gruppe von Kriegern stehen sah. Noch bevor irgendjemand gewahr werden konnte, was geschah, schoss Steffen sechs weitere Pfeile ab, und einer nach dem anderen fielen die sechs Krieger, die neben McCloud gestanden waren zu Boden, alle mit Pfeilen im Hals.

Steffen wollte gerade den nächsten Pfeil aus dem Köcher ziehen, als er schließlich entdeckt wurde und sich eine große Gruppe von Kriegern auf ihn stürzte und ihn zu Boden schlug.

McCloud, immer noch kreischend, wandte sich um und verschwand in der Menge. Zu ihrer groГџen Verwunderung war er immer noch am Leben. Sie hoffte, dass er qualvoll verbluten wГјrde. Gwens Herz war voller Dankbarkeit gegenГјber Steffen, mehr als er sich das je vorstellen konnte. Sie wusste, dass sie heute sterben wГјrde, doch wenigstens wГјrde es nicht durch die Hand von McCloud sein.

Es wurde still im Lager als sich Andronicus erhob und langsam auf Gwendolyn zulief. Sie lag da und sah, wie er auf sie zukam, unglaublich groß, ein Koloss von einem Mann. Seine Krieger folgten ihm als er sich ihr näherte und über dem Lager breitete sich eine Totenstille aus – nur das Heulen des Windes war zu hören.

Andronicus blieb kurz vor ihr stehen und sah ausdruckslos auf sie herab. Er griff nach den Schrumpfköpfen an seiner Halskette und spielte mit ihnen. Ein seltsames Geräusch drang aus den Tiefen seines Halses, wie ein Schnurren. Er schien sowohl wütend als auch fasziniert zu sein.

„Du hast dich dem großen Andronicus widersetzt“, sagte er langsam, und das gesamte Lager lauschte seinen Worten. Seine Stimme überschlug sich vor Autorität und hallte weit über die Ebene. „Es wäre einfacher gewesen, wenn du dich deiner Bestrafung ergeben hättest. Nun wirst du lernen, was echter Schmerz ist.“

Andronicus zog ein Schwert, das länger war als jedes andere, das Gwen je gesehen hatte. Es musste über zwei Meter lang gewesen sein und der Klang, als Andronicus es aus der Scheide zog, hallte über das Schlachtfeld. Er hielt es hoch und ließ es im Licht blitzen. Die Reflexion war so stark, dass sie sie blendete. Er betrachtete sich selbst in der Klinge, während er es in den Händen drehte und wog, als ob er es zum ersten Mal sehen würde.

„Du bist eine Frau von edler Geburt“, sagte er. „Da ist es nur passend, dass du den Tod durch ein edles Schwert findest.“

Andronicus machte zwei Schritte auf sie zu, griff den Knauf mit beiden Händen und hob das Schwert hoch über seinen Kopf.

Gwendolyn schloss die Augen. Sie hörte das Pfeifen des Windes, das Rauschen des Grases, und plötzlich blitzten scheinbar wahllos Erinnerungen ihres Lebens vor ihr auf. Sie fühlte alles, was sie je getan hatte, jeden, den sie geliebt hatte. Ihre letzten Gedanken gehörten Thor. Sie griff nach dem Amulett an ihrem Hals, das er ihr gegeben hatte, und hielt es fest in ihrer Hand. Sie konnte spüren, wie eine warme Kraft durch den alten roten Stein pulsierte und erinnerte sich an Thors Worte, als er es ihr gegeben hatte: Dieses Amulett kann dein Leben retten.

Ihre Finger schlossen sich fester um das Amulett, das in ihrer Hand pulsierte, und sie betete mit jeder Faser ihres Seins zu Gott.

Bitte Gott, lass das Amulett seine Wirkung entfalten. Bitte rette mich, nur dieses eine Mal. Erlaube mir, Thor wiederzusehen.

Gwendolyn öffnete die Augen und erwartete, dass sie sehen würde, wie Andronicus Schwert auf sie herabsauste. Doch was sie sah ließ sie sprachlos werden. Andronicus stand da wie erstarrt, sah über sie hinweg, als ob sich jemand hinter ihr nähern würde. Er schien überrascht, ja sogar verwirrt, und das war nicht gerade ein Ausdruck, den sie von ihm erwartet hätte.

„Du wirst deine Waffe nun langsam senken“, sagte eine Stimme hinter Gwendolyn.

Gwendolyn war wie elektrifiziert vom Klang der Stimme. Sie kannte sie. Sie fuhr herum und sah hinter sich eine Person, die sie so gut kannte wie ihren eigenen Vater.

Argon.

Er stand in eine weiße Robe mit einer Kapuze gehüllt da. Seine Augen glühten mit einer Intensität, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, und starrten Andronicus an. Sie und Steffen lagen zwischen diesen beiden Titanen. Beide waren Wesen von unvorstellbarer Macht, einer auf Seiten der Finsternis, einer auf Seiten des Lichts, und standen sich nun gegenüber. Sie konnte den Krieg, der auf spiritueller Ebene über ihr tobte, spüren.

„Werde ich das?“, spottete Andronicus und grinste ihn an.

Doch bei seinem Grinsen konnte Gwen sehen, wie seine Lippen bebten und sich zum ersten Mal so etwas wie Furcht in Andronicus� Augen abzeichnete. Sie hatte nie gedacht, dass sie das einmal sehen würde. Andronicus musste wissen, wer Argon war. Und was immer er auch über Argon wusste, war genug, dass sich der mächtigste Mann der Welt fürchtete.

„Du wirst dem Mädchen keinen weiteren Schaden mehr zufügen“, sagte Argon ruhig. „Du wirst ihre Kapitulation akzeptieren.“ Er trat mit leuchtenden Augen näher. „Du wirst ihr erlauben, sich zu ihren Leuten zurückzuziehen. Und du wirst ihren Leuten erlauben, zu kapitulieren, wenn sie das wünschen. Ich sage dies nur ein einziges Mal. Es wäre klug von dir, es anzunehmen.“

Andronicus starrte Argon an und blinzelte ein paarmal, als ob er unentschlossen wäre.

Dann schließlich warf er seinen Kopf in den Nacken und lachte schallend. Es war das lauteste und finsterste Lachen, das Gwen je gehört hatte. Es füllte das gesamte Lager und schien bis in den Himmel zu schallen.

„Deine Zaubertricks wirken bei mir nicht alter Mann!“, lachte Andronicus. „Ich habe vom Großen Argon gehört. Vor langer Zeit einmal bist du mächtig gewesen. Mächtiger als die Menschen, die Drachen, sogar als der Himmel selbst, sagt man. Doch deine Zeit ist um. Jetzt ist eine neue Zeit angebrochen. Die Zeit des Großen Andronicus. Du bist nicht mehr als ein Relikt. Ein Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten, als die MacGils herrschten und die Magie stark war. Als der Ring unbezwingbar war. Doch dein Schicksal ist an den Ring gebunden. Und jetzt ist der Ring schwach. So wie du.

Du bist ein Narr, dich mir entgegenzustellen, alter Mann. Dafür wirst du leiden. Dafür wirst du jetzt die Macht des Großen Andronicus kennenlernen.“

Andronicus grinste und hob erneut sein Schwert hoch Гјber Gwendolyn und sah dabei Argon direkt in die Augen.

„Ich werde das Mädchen langsam vor deinen Augen töten“, sagte Andronicus. „Dann den Buckligen. Als nächstes werde ich mir dich vornehmen und dich verstümmeln. Doch ich werde dich am Leben lassen als Beweis für die Größe meiner Macht!“

Gwendolyn kniff die Augen zu, als Andronicus das Schwert langsam auf ihren Kopf herab senkte. Plötzlich geschah etwas: Sie hörte ein Geräusch die Stille durchdringen, ein Geräusch wie tausend Feuer, gefolgt von Andronicus� Schrei.

Sie öffnete ungläubig die Augen und sah Andronicus� Gesicht vor Schmerz verzerrt, wie er sein Schwert fallen ließ und auf die Knie ging. Sie sah, wie Argon Schritt für Schritt auf ihn zuging und eine Hand vorgestreckt hatte, die von der einer violett leuchtenden Kugel aus Licht umgeben war. Die Kugel wurde immer grösser, umschloss Andronicus und Argon, der ausdruckslos weiter auf ihn zuging.

Andronicus kauerte sich am Boden zusammen, als das Licht ihn einhГјllte.

Seine Männer keuchten, doch keiner wagte sich ihm zu nähern. Entweder hatten sie alle Angst vor Argon, oder er hatte sie mit einem Zauber belegt, der sie hilflos machte.

„MACH DASS ES AUFHÖRT!“, schrie Andronicus und hielt sich die Ohren zu. „ICH FLEHE DICH AN!“

„Du wirst dem Mädchen keinen weiteren Schaden zufügen“, sagte Argon langsam.

„Ich werde ihr keinen weiteren Schaden zufügen!“, wiederholte Andronicus wie in Trance.

„Du wirst sie nun freilassen und zu ihrem Volk zurückkehren lassen.“

„Ich werde sie freilassen und zu ihrem Volk zurückkehren lassen!“

„Du wirst ihrem Volk die Gelegenheit geben, zu kapitulieren.“

„Ich werde ihrem Volk die Gelegenheit geben, zu kapitulieren!“, kreischte Andronicus. „Bitte! Ich werde alles tun!“

Argon holte tief Luft und hielt schlieГџlich inne. Das Licht verblasste als er langsam seinen Arm senkte.

Gwen sah ihn erschrocken an; sie hatte Argon nie in Aktion gesehen und sie konnte seine Macht kaum fassen. Es war, als wГјrde sie zusehen, wie sich der Himmel selbst Г¶ffnete.

„Wenn wir uns wiedersehen, Großer Andronicus“, sagte Argon langsam, und sah auf den wimmernden Andronicus herab, „dann wird es auf deinem Weg ins finsterste Reich der Toten sein.“




KAPITEL ZWEI


Thor wand sich unter den Händen der Empire-Krieger und musste hilflos mitansehen, wie Durs, der Mann, den er einmal für seinen Bruder gehalten hatte, sein Schwert hob, um ihn zu töten. Thor schloss die Augen und wusste, dass seine Zeit gekommen war. Er war wütend auf sich selbst, weil er so naiv und vertrauensselig gewesen war. Sie hatten ihn die ganze Zeit über an der Nase herumgeführt – direkt auf die Schlachtbank. Viel Schlimmer noch, als ihr Anführer sahen die anderen Jungen zu Thor auf, vertrauten auf seine Führung. Er hatte nicht nur sich selbst enttäuscht, er hatte die anderen im Stich gelassen. Seine Naivität, seine vertrauensselige Natur, hatte sie alle in Gefahr gebracht.

Während er sich im Griff der Empire-Krieger wand, versuchte er seine Kräfte zu rufen, sie von irgendwo tief in ihm heraufzubeschwören, gerade genug, um sich zu befreien und zurückzuschlagen. Doch so sehr er sich auch abmühte, sie wollten ihm nicht gehorchen. Seine körperlichen Kräfte waren im Moment nicht ausreichend, um sich aus dem Griff der Krieger zu befreien.

Thor spГјrte, wie der Wind Гјber sein Gesicht strich, als das Schwert von Durs auf ihn herabsauste und bereitete sich auf den Schwerthieb vor. Er war noch nicht bereit zu sterben. In seinem Geist sah er Gwendolyn, die im Ring auf ihn wartete. Er hatte das GefГјhl, dass er auch sie im Stich gelassen hatte.

Plötzlich hörte Thor einen Schlag, öffnete die Augen und stellte überrascht fest, dass er noch am Leben war. Durs Arm war mitten im Schwerthieb von einem riesigen Empire-Krieger festgehalten worden, der Durs um einiges überragte – was nicht einfach war, in Anbetracht von Durs eigener Größe. Er hatte Durs Handgelenk ergriffen, als die Klinge nur noch Zentimeter über Thor schwebte.

Durs wandte sich Гјberrascht dem Mann zu.

„Andronicus will nicht, dass er getötet wird“, zischte der Krieger Durs finster an. „Er will sie alle lebend haben. Als Gefangene.“

„Davon hat uns niemand etwas gesagt!“, protestierte Durs.

„Die Abmachung war, dass wir sie töten könnten!“, fügte Dross hinzu.

„Sie wurde geändert“, sagte der Krieger.

„Das könnt ihr nicht tun!“, schrie Drake.

„Können wir nicht?“, antwortete er finster. „Wir können tun, was uns gefällt. Oh ja, und ihr seid nun auch unsere Gefangenen.“ Der Krieger grinste breit. „Je mehr Angehörige der Legion wir haben, umso höher wird die Bezahlung ausfallen.“

Durs sah den Krieger mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck an und im nächsten Augenblick brach heilloses Chaos aus, als sich die Empire-Krieger auf die drei Brüder stürzten, sie niederrangen und ihnen die Hände fesselten.

Thor nutzte das Chaos und sah sich nach Krohn um, der neben ihm im Schatten stand und sich loyal an seiner Seite hielt.

„Krohn, hilf mir!“, rief Thor. „JETZT!“

Krohn sprang mit einem Knurren vor, stürzte sich auf einen den Krieger, der Thor festhielt und grub seine Zähne in dessen Hals. Thor konnte seine Hand befreien und Krohn machte sich über den nächsten Mann her, und dann den nächsten, bis sich Thor befreit hatte und sein Schwert ergreifen konnte. Thor fuhr herum und schlug mit einem einzigen Hieb drei Männern die Köpfe ab.

Thor rannte zu Reece, der ihm am nächsten war, und stach seinem Wächter direkt ins Herz,  befreite ihn, sodass auch er sein Schwert ziehen und sich mit ihm in den Kampf stürzen konnte. Sie liefen zu ihren Legionsbrüdern, überwältigten ihre Wächter und befreiten Elden, O’Connor, Conval und Conven. Die anderen Krieger waren damit abgelenkt, Drake, Durs und Dross abzuwehren, und als sie bemerkten, was vor sich ging, war es zu spät. Thor, Reece, O’Connor, Elden, Conval und Conven waren alle frei und bewaffnet. Sie waren nach wie vor in der Unterzahl und wussten, dass der Kampf kein einfacher sein würde. Doch zumindest wussten, sie, dass sie eine Chance haben würden. Unerschrocken und leidenschaftlich stürzten sie sich auf ihre Feinde. Die noch verbliebenen hundert Krieger des Empire griffen an und Thor hörte weit über sich einen Schrei, blickte auf und sah Estopheles. Sein Falke stürzte sich herab und kratzte dem feindlichen Anführer die Augen aus, sodass er zu Boden fiel und sich vor Schmerzen wand. Estopheles griff nacheinander weitere Krieger an und schaltete auch sie, einen nach dem anderen, aus.

Während des Angriffs lud Thor einen Stein in seine Schleuder, spannte sie und traf einen Mann an der Schläfe, gerade bevor er ihn erreichen konnte. O’Connor gelang es, zwei Pfeile abzuschießen, und beide trafen ihr Ziel mit tödlicher Präzision. Elden spießte zwei Gegner gleichzeitig mit seinem Speer auf und sie stürzten zu Boden. Doch das war nur der Anfang – es blieben hundert Krieger übrig.

Unter lautem Schlachtgeschrei trafen sie aufeinander. Wie man es ihm beigebracht hatte, konzentrierte sich Thor auf einen Krieger und wählte sich dafür den aus, der am größten und gemeinsten aussah. Er hob sein Schwert und stürzte sich auf ihn. Dem Mann gelang es, Thors Schwerthieb mit dem Schild abzuwehren und parierte sofort mit seinem Hammer in Richtung von Thors Kopf.

Thor wich aus und als der Hammer neben ihm zur Erde sauste, zog er seinen Dolch und rammte ihn dem Mann in den Bauch, sodass er tot zusammenbrach.

Thor hob seinen Schild gerade rechtzeitig, um den Angriff von zwei feindlichen Kriegern mit ihren Schwertern abzuwehren. Er parierte und tötete dabei einen von ihnen. Er wollte gerade dem anderen einen Hieb versetzen, als er aus dem Augenwinkel sah, wie ein anderer ihn von hinten mit dem Schwert angriff. Er fuhr herum und wehrte den Hieb mit seinem Schild ab.

Thor wurde nun von allen Seiten angegriffen – sie waren zahlenmäßig immer noch weit unterlegen – und die Hiebe regneten nur so auf ihn herunter. Er hatte weder die Zeit noch die Energie, um anzugreifen – er konnte nicht mehr tun, als sich zu verteidigen. Und es stürzten sich immer mehr Männer auf ihn.

Er sah zu seinen Waffenbrüdern hinüber und erkannte, dass es ihnen nicht besser erging. Jedem von ihnen war es gelungen, ein oder zwei feindliche Krieger zu töten. Doch derart in der Unterzahl zahlten sie den Preis für ihre Tapferkeit – jeder von ihnen hatte bereits unzählige leichtere Wunden erlitten. Und das trotz der Hilfe von Krohn, der selbst einen feindlichen Krieger nach dem anderen attackierte, und der Hilfe von Indra, die Steine auf die Männer des Empire warf. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie umzingelt wären und sie sterben müssten.

„Befreit uns!“, kam eine Stimme.

Thor wandte sich um und sah Drake, der genau wie seine BrГјder nur ein paar Meter weit weg gefesselt lag.

„Befreit uns!“, wiederholte er. „Und wir werden euch helfen, gegen sie zu kämpfen! Wir kämpfen für dieselbe Sache!“

Als Thor seinen Schild hob, um wieder einen harten Hieb abzuwehren, diesmal von einer Kriegsaxt, erkannte er, dass die Hilfe der drei von unschätzbarem Wert sein könnte. Ohne sie hatten sie ganz klar keine Chance, siegreich aus dem Kampf hervorzugehen. Thor war sich alles andere als sicher, ob er ihnen trauen konnte, doch er war an einem Punkt angelangt, an dem er nichts zu verlieren hatte. Immerhin hatten die drei Brüder selbst eine Motivation zu kämpfen.

Thor wehrte den nächsten Schwerthieb ab, ließ sich auf die Knie fallen und rollte zu den Brüdern hinüber. Er sprang auf, zerschnitt ihre Fesseln und schützte sie währenddessen vor den Angriffen der Empire-Krieger. Alle drei schnappten sich ihre Schwerter und warfen sich in den Kampf.

Drake, Dross und Durs stürzten sich schlagend und Schwerter schwingend in die Menge. Jeder von ihnen war groß und ein geübter Kämpfer, und die Verstärkung traf die Männer des Empire unvorbereitet, sodass binnen weniger Augenblicke etliche von ihnen fielen. Thor hatte gemischte Gefühle, sie nach allem, was sie getan hatten, zu befreien – doch in Anbetracht der Umstände schien es eine kluge Wahl zu sein. Besser als der Tod.

Nun, da sie zu neunt gegen die verbleibenden etwa achtzig Krieger kämpften, waren die Kräfteverhältnisse immer noch sehr zu ihren Ungunsten, aber wenigstens etwas besser als zuvor.

Die Waffenbrüder konnten sich auf ihre erlernten Fähigkeiten verlassen, auf die Übungen, die ihnen beim Training mit den Hundert in Fleisch und Blut übergegangen waren, die zahllosen Übungseinheiten, in denen sie umringt gewesen waren und in der Unterzahl gekämpft hatten. Sie taten, was ihnen Kolk und Brom beigebracht hatten. Sie zogen sich selbst in einen engen Kreis zurück und mit einander zugewandten Rücken wehrten sie die Angriffe der feindlichen Krieger als Einheit ab. Ermutigt durch die Ankunft von drei weiteren Kämpfern, verspürten sie alle neuen Mut und kämpften noch energischer als zuvor.

Conval zГјckte seinen Kriegsflegel, schwang ihn weit und schlug die Feinde immer wieder. So gelang es ihm, drei der Empire-Krieger niederzustrecken, bevor jemand ihm die Kette entriss. Sein Bruder Conven verwendete einen Streitkolben, zielte tief und zertrГјmmerte den feindlichen Kriegern die Beine mit der schweren gespickten Metallkugel.

Auf die kurze Distanz konnte O’Connor seinen Bogen nicht verwenden, doch er konnte seine beiden Wurfdolche aus seinem Gürtel ziehen, sie in die Menge werfen und damit zwei Krieger töten. Und Thor und Reece blockten und parierten virtuos mit ihren Schwertern. Einen Augenblick lang fühlte sich Thor optimistisch.

Dann sah Thor aus dem Augenwinkel etwas, das ihn störte. Er beobachtete, wie einer der drei Brüder sich aus der Gruppe löste und durch den Kreis spurtete. Thor wandte sich um und sah Durs. Er stürzte sich nicht auf einen Krieger des Empire, sondern auf ihn. Er wollte ihm in den Rücken stechen.

Es geschah zu schnell und Thor, der zwei feindliche Krieger vor sich abwehren musste, konnte sich nicht rechtzeitig umdrehen.

Thor war sich sicher, dass er sterben musste. In den RГјcken gestochen von dem Mann, den er einst fГјr seinen Bruder gehalten hatte und dem er naiv zwei Mal das Vertrauen geschenkt hatte.

Plötzlich tauchte Conval aus dem Nichts vor Thor auf, um ihn zu schützen.

Und als Durs sein Schwert in Thors RГјcken rammen wollte, fand es stattdessen sein Ziel in Convals Brust.

Thor fuhr herum und schrie: „CONVAL!“

Conval stand wie eingefroren da, die Augen zu einem Starren weit aufgerissen, als er zusah, wie das Schwert in seinen Körper drang, sein Herz traf und sein Blut überall hin spritzte.

Durs stand da und starrte mit ebenso Гјberraschtem Blick zurГјck.

Conval fiel auf die Knie und das Blut schoss schwallweise aus seiner Brust. Thor musste mitansehen, wie Conval, sein Waffenbruder, den er liebte wie einen leiblichen Bruder, zu Boden sank und starb. Um Thors Leben zu retten.

Durs stand Гјber ihm, sah zu Boden und schien schockiert Гјber das, was er gerade getan hatte.

Thor schoss vor, um Durs zu töten – doch Conven kam ihm zuvor. Convals Zwillingsbruder stürzte sich auf Durs, holte mit dem Schwert weit aus und schlug ihm mit einem langen Schwung den Kopf ab. Durs Körper sackte leblos zu Boden.

Thor stand da und fühlte sich hohl, erdrückt von Schuld. Es war eine Fehleinschätzung zu viel gewesen. Wenn er Durs nicht befreit hätte, wäre Conval womöglich noch am Leben.

Da der Kreis nun gebrochen war, bat sich den feindlichen Kriegern die Gelegenheit für den finalen Angriff. Sie stürmten in den offenen Kreis und Thor fühlte, wie ihn ein Kriegshammer zwischen die Schulterblätter traf; die Wucht des Schlages schickte ihn mit dem Gesicht voraus zu Boden.

Noch bevor er sich wieder aufrappeln konnte, fГјhlte er einen FuГџ auf seinem RГјcken, ein feindlicher Krieger griff ihn bei den Haaren und drГјckte ihm einen Dolch an den Hals.

„Verabschiede dich, mein Junge!“, sagte er.

Thor schloss die Augen und fГјhlte, wie er in eine andere Welt versetzt wurde.

Bitte Gott, betete er still. Erlaube mir, diesen Tag zu überleben. Gib mir die Stärke, diese Männer zu besiegen; an einem anderen Tag, an einem anderen Ort, mit Ehre zu sterben. Lange genug zu leben, um dieses Tode zu rächen. Um Gwendolyn noch ein einziges Mal wiederzusehen.

Während er dalag und beobachtete, wie sich der Dolch auf ihn herabsenkte, fühlte er, wie die Zeit langsamer wurde und fast stehen blieb. Er spürte eine plötzliche Welle von Hitze, die durch seine Beine, seinen Oberkörper und seine Arme bis in seine Hände und seine Fingerspitzen wogte, ein Prickeln, so intensiv, dass er nicht einmal mehr seine Hand zur Faust schließen konnte. Eine unglaubliche Energie war bereit, aus ihm herauszubrechen.

Thor fuhr herum, fГјhlte eine neue Kraft in sich, und hob seine Hand gegen seinen Angreifer. Eine Kugel weiГџen Lichts schoss aus seiner Hand hervor und ihre Wucht lieГџ den Angreifer von ihm weg und weit Гјber das Schlachtfeld fliegen, wo er mehrere andere Krieger umwarf.

Thor stand berstend vor Energie da und zielte mit seinen Händen auf die feindlichen Krieger. Während er das tat, traten weitere Kugeln weißen Lichts aus seinen Handflächen hervor und hinterließen Schneisen der Verwüstung, so schnell und so intensiv, dass binnen weniger Minuten alle Angreifer in Haufen tot auf dem Schlachtfeld lagen. Als wieder Ruhe einkehrte, nahm Thor Bestand auf. Er, Reece, O’Connor, Elden, und Conven waren am Leben. Neben ihm erfreuten sich Krohn und Indra bester Gesundheit, auch wenn Krohn deutlich erschöpft und außer Atem war. Alle Krieger des Empire, die sie angegriffen hatten, waren tot – ebenso wie Durs. Zu seinen Füssen lag Conval, ebenfalls tot.

Auch Dross hatte es nicht Гјberlebt, aus seinem Herzen ragte das Schwert eines Empire-Kriegers.

Der einzige der drei Verräter, der noch am Leben war, war Drake. Er lag stöhnend auf dem Boden und in seinem Bauch klaffte eine Dolchwunde. Thor ging zu ihm hinüber, als Reece, O’Connor und Elden ihn grob hochzerrten. Er wimmerte vor Schmerzen und war kaum bei Bewusstsein, dennoch grinste er sie unverschämt an.

„Du hättest uns von Anfang an töten sollen“, zischte er und Blut tropfte aus seinem Mund. Er musste husten. „Du bist schon immer schrecklich naiv gewesen. Einfach dumm.“

Thors Gesicht wurde rot und er wurde nur noch wütender auf sich, dafür, dass er ihnen je vertraut hatte. Er kochte vor Wut, am meisten darüber, dass seine Naivität Conval das Leben gekostet hatte.

„Ich werde dich ein einziges Mal fragen“, knurrte Thor. „Antworte mir wahrheitsgemäß und ich werde dich am Leben lassen. Lüge mich an und du wirst deinen Brüdern folgen. Du hast die Wahl.“

Drake hustete mehrmals.

„Wo ist das Schwert?“, fragte Thor. „Und diesmal will ich die Wahrheit hören.“

Drake musste immer wieder husten, bevor er schlieГџlich seinen Kopf heben konnte. Er blickte auf und sah Thor mit hasserfГјlltem Blick in die Augen.

„Im Nimmersee.”

Thor sah zunächst die anderen, dann Drake verwirrt an.

„Der Nimmersee?“

„Das ist ein bodenloser See“, mischte sich Indra ein und trat vor. „Auf der anderen Seite der Großen Wüste. Es ist der tiefste See, den man sich vorstellen kann.“

Thor sah Drake grimmig an.

„Warum?“, wollte er wissen.

Drake hustete erneut. Er wurde schwächer.

„Auf Befehl von Gareth“, keuchte er. „Er wollte, dass wir es irgendwo loswerden, von wo es nie wieder in den Ring zurückkehren würde.“

„Aber warum?“, hakte Thor nach. „Warum wollte er das Schwert zerstören?“

Drake sah ihm in die Augen.

„Wenn er es nicht führen konnte“, sagte Drake, „dann sollte es keiner tun.“

Thor sah ihn lange an und war sich schlieГџlich sicher, dass er die Wahrheit gesagt hatte.

„Dann haben wir nicht viel Zeit“, sagte Thor und wandte sich um, um zu gehen.

Drake schГјttelte den Kopf.

„Ihr werdet es niemals rechtzeitig schaffen.“

„Wir denken nicht wie du“, antwortete er. „Wir leben nicht, um uns selbst zu retten. Wir leben für die Ehre, für unseren Kodex. Und wir werden gehen, wo immer uns das hinführt.“

„Siehst du nicht, wo eure Ehre euch hingeführt hat?“, sagte Drake. „Selbst mit deiner Ehre bist du ein Narr, so wie die anderen. Ehre ist wertlos.“

Thor sah ihn grimmig an. Er konnte kaum glauben, dass er im selben Haus wie er groß geworden war, dass er seine gesamte Kindheit mit einem Monster wie ihm verbracht hatte. Thors Handknöchel wurden weiß, als er seinen Schwertknauf umklammerte und sich nichts sehnlicher wünschte, als ihn zu töten. Drakes Blick folgte seiner Hand.

„Tu es“, sagte er. „Töte mich. Bringe es ein für alle Mal zu einem Ende.“

Thor sah ihn lange an und hätte es nur zu gerne getan. Doch er hatte Drake sein Wort gegeben, dass er ihn nicht töten würde, wenn er die Wahrheit sagte. Und Thor stand zu seinem Wort.

„Das werde ich nicht tun“, sagte Thor schließlich. „So sehr du es auch verdient haben magst. Du wirst nicht durch meine Hand sterben, denn dann wäre ich nicht besser als du.“

Als Thor sich umdrehte, stГјrzte Conven mit einem lauten Schrei vor.

„Für meinen Bruder!“

Bevor auch nur einer von ihnen reagieren konnte, hob er sein Schwert und stieß es durch Drakes Herz. Verzweifelte Wut und Trauer waren in Convens Augen zu sehen, als er Drake in einer tödlichen Umarmung hielt und zusah, wie dessen Körper tot zu Boden fiel.

Thor sah auf ihn herab und wusste, dass der Tod durch seine Hand zumindest ein geringer Trost fГјr Conven sein wГјrde. FГјr sie alle. Doch es war zumindest etwas.

Thor lieГџ den Blick Гјber die riesige WГјste vor ihnen schweifen und wusste, dass das Schwert irgendwo am anderen Ende war. Es schien, als wГјrde eine ganze Welt zwischen ihnen und dem Schwert liegen.

Gerade als sie dachten, dass sie am Ende ihrer Reise angekommen waren, mussten sie feststellen, dass sie noch nicht einmal begonnen hatte.




KAPITEL DREI


Erec saß inmitten der anderen Ritter in der Waffenhalle des Barons in dessen Schloss, sicher hinter den Toren von Savaria aufgehoben, und alle waren sichtlich mitgenommen von der Begegnung mit den Kreaturen. Neben ihm saß sein Freund Brandt, der seinen Kopf in die Hände gestützt hatte, so wie viele der anderen auch. Die Stimmung war bedrückt.

Erec spürte es auch. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte vom Kampf mit den Männern des Lords und mit den Monstern. Es war eine der härtesten Schlachten seines Lebens gewesen, und der Baron hatte zu viele Männer verloren. Als Erec darüber nachdachte, bemerkte er, dass ohne Alistair, Brandt, die anderen und er jetzt tot wären.

Erec war voll Dankbarkeit ihr gegenüber – und noch mehr: Sie hatte das Feuer seiner Liebe neu angefacht. Er war fasziniert von ihr – er hatte immer schon gespürt, dass sie etwas Besonderes war, sogar dass sie eine gewisse Kraft ausstrahlte. Doch das, was heute geschehen war, war der Beweis. Er hatte das brennende Verlangen, mehr darüber zu erfahren, wer sie war und über das Geheimnis ihrer Herkunft. Doch er hatte geschworen, nicht neugierig zu sein – und er hielt immer sein Wort.

Erec konnte nicht abwarten, bis die Zusammenkunft vorГјber war und er sie wieder sehen konnte.

Die Ritter des Barons waren schon seit Stunden zusammengesessen und hatten darüber diskutiert, was als nächstes zu tun war. Der Schild existierte nicht mehr und Erec versuchte immer noch, die Konsequenzen zu verstehen. Es bedeutete, dass Savaria nun anfällig für Angriffe von außen sein würde; und viel schlimmer noch, Boten waren in die Stadt gekommen mit Nachrichten von der Invasion von Andronicus� Armee, davon was in King’s Court und Silesia geschehen war. Erecs Mut sank. Sein Herz drängte ihn, zu seinen Brüdern bei den Silver zurückzukehren, um seine Heimatstädte zu verteidigen. Doch er war hier, in Savaria, wo das Schicksal ihn hingeführt hatte. Er wurde hier auch gebraucht. Die Stadt des Barons und ihre Leute waren immerhin ein wichtiger strategischer Bestandteil des Reiches der MacGils und mussten verteidigt werden.

Doch mit den neuen Berichten, dass Andronicus eines seiner Bataillone losgeschickt hatte, um Savaria anzugreifen, wusste Erec, dass Andronicus� Armee, die mehr als eine Million Mann stark war, sich bald bis in den letzten Winkel des Rings ausbreiten würde.

Wenn Andronicus mit einem Gegner fertig war, ließ er nichts zurück. Erec hatte die Geschichten von Andronicus� Eroberungen sein ganzes Leben lang gehört und er wusste, dass seine Grausamkeit ohne Gleichen war. Durch das einfache Gesetz der Zahlen war klar, dass die wenigen hundert Männer des Barons selbst einem einzigen Bataillon von Andronicus� Armee nahezu wehrlos gegenüber stehen würden. Savaria war dem Untergang geweiht.

„Ich sage wir kapitulieren“, erklärte der Berater des Barons, ein grauhaariger alter Krieger, der vornübergebeugt an einem großen rechteckigen Holztisch saß, verloren in einen Krug mit Bier starrte und ihn dann auf den Tisch schlug. Die anderen Krieger verstummten und sahen ihn an.

„Welche Wahl haben wir schon?“, fügte er hinzu. „Wir sind ein paar Hundert gegen eine Armee von einer Million Männern.“

„Vielleicht können wir die Stadt verteidigen, sie zumindest halten“, warf ein anderer Krieger ein.

„MacGil ist tot”, gab ein anderer Krieger zu bedenken. „Niemand wird zu unserer Hilfe kommen.“

„Doch seine Tochter lebt“, entgegnete ein anderer. „Und auch seine Männer. Sie würden uns nicht einfach hier im Stich lassen!“

„Sie können sich doch kaum selbst verteidigen!“, protestierte ein anderer.

Die Männer fingen an, wild zu diskutieren und drehten sich mehr oder weniger im Kreis.

Erec saß da, beobachtete alles und fühlte sich hohl. Ein Bote war vor wenigen Stunden gekommen und hatte die furchtbaren Nachrichten von Andronicus� Invasion gebracht, und – die Nachricht, die für Erec fast noch schlimmer war – dass MacGil ermordet worden war. Erec war so lange so weit von King’s Court fort gewesen, dass dies das erste Mal war, dass ihn Nachrichten erreichten – und es war, als hätte jemand ihm einen Dolch ins Herz gestoßen. Er hatte MacGil wie einen Vater geliebt und sein Verlust ließ ihn sich so unglaublich leer fühlen.

Stille breitete sich im Raum aus als sich der Baron räusperte, und alle Augen richteten sich auf ihn.

„Wir sind in der Lage unsere Stadt gegen einen Angriff zu verteidigen“, sagte der Baron. „Mit unseren Fähigkeiten und der Stärke dieser Mauern, können wir sie gegen eine Armee halten, die fünfmal so groß ist wie unsere – vielleicht sogar zehnmal. Und wir haben genug Vorräte, um eine wochenlange Belagerung auszusitzen. Gegen jede normale Armee würden wir siegen.“

Er seufzte.

„Doch das Empire hat keine normale Armee“, fügte er hinzu. „Wir können uns nicht gegen eine Armee wie diese verteidigen. Es wäre aussichtslos.“

Er machte eine Pause.

„Doch Aufzugeben ist auch nicht besser. Wir alle wissen, was Andronicus mit seinen Gefangenen macht. Es scheint mir, als müssten wir so oder so sterben. Die Frage ist nur, ob wir kämpfend oder sitzend untergehen. Ich sage, wir sterben kämpfend!“

Zustimmender Jubel brach im Raum aus. Erec konnte ihm nur recht geben.

„Dann bleibt uns nichts anderes zu tun“, fuhr der Baron fort, „als Savaria zu verteidigen. Wir werden nicht kapitulieren. Wir werden wahrscheinlich sterben. Doch wir werden es Seite an Seite kämpfend tun!“

Tiefe Stille breitete sich aus und sie sahen sich ernst an. Dann nickten sie. Trotzdem schien es so, als würde jeder einzelne verzweifelt nach einer anderen Lösung suchen.

„Es gibt einen anderen Weg“, sagte Erec schließlich in die Runde.

Er konnte spГјren, wie sich alle Blicke auf ihn richteten.

Der Baron nickte ihm zu und erteilte ihm damit das Wort.

„Wir können angreifen“, sagte Erec.

„Angreifen?“, riefen die Männer überrascht aus. „Wir paar hundert Mann, diese riesige Armee angreifen? Erec, ich weiß, dass du furchtlos bist, doch bist du jetzt vollkommen verrückt geworden?“

Erec schГјttelte todernst den Kopf.

„Was du nicht in Betracht ziehst, ist, dass Andronicus� Männer nie mit einem Angriff rechnen würden. Wir hätten die Überraschung auf unserer Seite. Wie du gesagt hast, wenn wir hier bleiben und versuchen, die Stadt zu verteidigen, werden wir sterben. Wenn wir angreifen, können wir viel mehr von ihnen töten. Und was noch viel wichtiger ist, wenn wir richtig angreifen, am richtigen Ort, können wir sie vielleicht aufhalten – oder sogar besiegen.“

„Besiegen?!“, riefen sie aus und sahen ihn fassungslos an.

„Wie stellst du dir das vor?“, fragte der Baron.

„Andronicus wird erwarten, dass wir hier sind, auf ihn warten und unsere Stadt verteidigen“, erklärte Erec. „Seine Männer werden niemals erwarten, dass wir ihnen an irgendeinem Engpass außerhalb der Stadttore auflauern. Hier in der Stadt haben wir den Vorteil der dicken Mauern – doch da draußen, auf dem freien Feld, haben wir das Element der Überraschung. Und Überraschung wiegt schwerer als schiere Stärke. Wenn wir einen natürlichen Engpass halten können, können wir sie alle zu einem Punkt hin lotsen, an dem wir angreifen können.

Ich denke dabei an die östliche Bergschlucht.“

„Die östliche Bergschlucht?“, fragte einer der Krieger.

Erec nickte.

„Es ist eine enge Schlucht zwischen zwei steilen Felswänden. Sie ist der einzige Pass durch die Berge von Kavonia, einen guten Tagesritt von hier entfernt. Wenn Andronicus� Männer zu uns kommen, führt der direkteste Weg durch die Schlucht. Anderenfalls müssten sie über die Berge wandern. Die Straße vom Norden her ist zu eng und zu sumpfig zu dieser Jahreszeit – er würde Wochen vergeuden. Und im Süden müssten sie den Fjord überqueren.“

Der Baron sah Erec voller Bewunderung an, kratzte sich am Kopf und Гјberlegte.

„Vielleicht hast du recht. Andronicus muss seine Männer durch die Schlucht führen. Für jede andere Armee wäre das ein Akt höchster Hybris. Doch für ihn, mit seiner riesigen Armee, kann ich mir vorstellen, dass er es tun würde.“

Erec nickte.

„Wenn wir dorthin kommen, wenn wir vor ihnen dort sind, dann können wir sie überraschen und sie angreifen. Auf einer Position wie dieser, können wenige Männer Tausende in Schach halten.“

Die anderen Krieger sahen Erec mit einer gewissen Hoffnung und Bewunderung an, während der Raum in tiefer Stille lag.

„Ein mutiger Plan mein Freund“, sagte der Baron. „Doch du bist ja auch ein mutiger Krieger. Bist du schon immer gewesen.“ Der Baron winkte einen Diener herbei: „Bring mir eine Karte!“

Der Junge rannte aus dem Raum und kam durch eine andere TГјr mit einer groГџen Pergamentrolle wieder herein. Er rollte sie auf dem Tisch aus und die Krieger versammelten sich um sie, um sie zu studieren.

Erec zeigte mit dem Finger auf Savaria auf der Karte und zeichnete dann mit seinem Finger eine Linie Richtung Osten bis zur Г¶stlichen Schlucht. Eine enge Klamm, von hohen Bergen umgeben, soweit das Auge reichte.

„Das ist perfekt“, sagte einer der Krieger.

Die anderen nickten und rieben sich die Bärte.

„Ich habe Geschichten gehört von ein paar Dutzend Mann, die Tausende an der Schlucht aufgehalten haben“, sagte ein anderer Krieger.

„Das sind Ammenmärchen“, sagte wieder ein anderer. „Ja wir haben das Überraschungsmoment auf unserer Seite. Doch was sonst noch? Uns wird der Schutz unserer Mauern fehlen.“

„Aber wir werden den Schutz der Felswände haben“, entgegnete ein anderer. „Diese Berge, das sind ein paar hundert Meter massiver Fels.“

„Nichts ist absolut sicher“, fügte Erec hinzu. „Wie der Baron sagte, wir können hier sterben, oder wir können da draußen sterben. Doch der Sieg wird unser sein, denn den Mutigen gehört die Welt!“

Der Baron, der sich eine Weile lang den Bart gerieben hatte, nickte, rollte die Karte auf und lehnte sich zurГјck.

„Bereitet eure Waffen vor!“, rief er. „Wir reiten heute Nacht!“


*

Erec, wieder in voller Rüstung, marschierte aus der Halle in die entgegengesetzte Richtung der anderen Männer. Er hatte noch eine wichtige Sache zu erledigen, bevor er in seine womöglich letzte Schlacht aufbrach.

Er musste Alistair sehen.

Seitdem er vom heutigen Kampf zurГјckgekehrt war, hatte Alistair auf ihn in ihrer Kammer gewartet. Sie wartete darauf, wieder glГјcklich mit ihm vereint zu sein, und es tat ihm weh, ihr die Nachricht Гјberbringen zu mГјssen, dass er sie schon wieder verlieГџ.

Es gab ihm einen gewissen Frieden, zu wissen, dass sie zumindest hier innerhalb der Mauern des Schlosses sicher war, und es gab ihm zusätzlichen Antrieb, das Empire von hier fernzuhalten. Es tat ihm im Herzen weh, sie wieder zu verlassen – er wünschte sich nichts mehr, als Zeit mit ihr verbringen zu können, seitdem sie sich verlobt hatten. Aber es schien, als wäre ihnen das nicht vom Schicksal bestimmt.

Als Erec mit klingenden Sporen und hallenden Schritten um die Ecke kam, bereitete er sich in Gedanken auf den Abschied vor. Er wusste, dass er schmerzhaft sein würde. Schließlich kam er an die alte hölzerne Bogentür und klopfte an.

Er hörte Schritte und einen Augenblick später öffnete sie die Tür. Erecs Herz machte einen Sprung, so wie jedes Mal, wenn er Alistair sah. Sie stand mit ihren langen, blonden Haaren und ihren blitzenden Augen in der Tür, und sah ihn an. Sie schien jedes Mal, wenn er sie sah, schöner zu werden.

Erec trat ein und umarmte sie. Sie hielt ihn lange Zeit fest, wollte nicht loslassen und er wollte es ebenso wenig. Er wünschte sich nichts mehr, als die Tür hinter sich schließen zu können und bei ihr zu bleiben. Doch es sollte nicht sein.

Sie zu halten, ihre Wärme zu spüren, gab ihm das Gefühl, dass die Welt in Ordnung war, und es widerstrebte ihm, sie loszulassen. Schließlich tat er es doch und blickte in ihre funkelnden Augen. Sie sah seine Rüstung, seine Waffen und ihr Gesicht gefror, als sie verstand, dass er nicht bleiben würde.

„Musst du wieder gehen?“, fragte sie.

Erec senkte den Kopf.

„Ich will nicht gehen“, sagte er. „Aber die Truppen des Empire rücken näher, und wenn ich bleibe, werden wir alle sterben.“

„Und wenn du gehst?“, fragte sie.

„Werde ich wahrscheinlich auch sterben“, gab er zu. „Aber so haben wir zumindest eine Chance. Eine kleine Chance nur, aber es ist besser als nichts.“

Alistair wandte sich ab und ging zum Fenster. Sie sah in den Hof hinunter, der von der untergehenden Sonne in ein sanftes Licht getaucht wurde. Er konnte die Traurigkeit in ihrem Gesicht sehen und strich ihr Гјbers Haar.

„Sei nicht traurig“, sagte er. „Wenn ich das hier überlebe, komme ich zurück. Und dann werden wir für immer vereint sein, frei von allen Gefahren und Bedrohungen. Frei, endlich unser gemeinsames Leben zu beginnen.“

Sie schГјttelte traurig den Kopf.

„Ich habe Angst“, sagte sie.

„Vor der feindlichen Armee?“, fragte er.

„Nein“, sagte sie. „Vor dir.“

Erec sah sie verwirrt an.

„Ich habe Angst, dass du jetzt anders über mich denkst“, erklärte sie, „seit dem, was du auf dem Schlachtfeld gesehen hast.“

Erec schГјttelte den Kopf.

„Ich denke in keiner Weise anders über dich!“, sagte er. „Du hast mein Leben gerettet und dafür bin ich dir unglaublich dankbar.“

Sie senkte den Kopf.

„Aber du hast auch eine andere Seite von mir gesehen“, sagte sie. „Du hast gesehen, dass ich nicht wie alle anderen bin. Ich habe eine Kraft in mir, die ich selbst nicht verstehen kann. Und nun fürchte ich, dass du mich als eine Art von Monster siehst. Als Frau, die du nicht länger in deinem Leben haben willst.“

Erec brachen ihre Worte das Herz. Er ergriff ihre Hände und sah ihr ernst in die Augen.

„Alistair“, sagte er. „Ich liebe dich mit jeder Faser meines Körpers. Es hat nie jemanden gegeben, den ich mehr geliebt habe als dich. Und es wird auch niemals jemanden geben. Ich liebe dich und alles was dich ausmacht. Ich sehe dich als genau die Frau, als die ich dich zuvor gesehen habe. Welche Kräfte auch immer du hast, wer immer du auch bist – selbst wenn ich es nicht verstehen kann – ich akzeptiere es. Und ich bin dankbar dafür. Ich habe dir geschworen, keine Fragen zu stellen und ich werde mein Wort halten. Ich werde dich nicht fragen. Was immer du bist, ich akzeptiere dich und ich liebe dich.“

Sie sah ihn lange an und begann zu lächeln. Ihre Augen füllten sich mit Tränen der Erleichterung und der Freude. Sie umarmte ihn fest und flüsterte ihm ins Ohr: „Bitte komm zurück zu mir!“




KAPITEL VIER


Gareth stand am Eingang der Höhle, betrachtete den Sonnenuntergang und wartete. Er leckte seine trockenen Lippen und versuchte sich zu konzentrieren – die Wirkung des Opiums ließ langsam nach. Ihm war schwindelig und er hatte seit Tagen nichts gegessen oder getrunken. Gareth dachte zurück an seine Flucht aus dem Schloss, wie er sich durch den Geheimgang hinter dem Kamin davongeschlichen hatte, gerade rechtzeitig, bevor Lord Kultin ihn überfallen wollte – und musste lächeln. Kultin hatte seinen Coup klug geplant – doch Gareth war klüger gewesen. Wie alle anderen auch hatte er Gareth unterschätzt. Er hatte nicht bemerkt, dass Gareths Spitzel überall waren, und dass Gareth umgehend von seinem Plan erfahren hatte.

Gareth war gerade rechtzeitig geflohen, bevor Lord Kultin ihn überfallen konnte, und bevor Andronicus in King’s Court einmarschiert war und es dem Erdboden gleich gemacht hatte. Lord Kultin hatte ihm einen Gefallen getan.

Gareth hatte den alten Geheimgang aus dem Schloss genommen, der sich über eine lange Strecke unterirdisch wand und ihn schließlich auf dem flachen Land an einem abgelegenen Ort, Meilen von King’s Court entfernt, ausspuckte. Er war in der Nähe dieser Höhle herausgekommen und zusammengebrochen als er sie erreichte. Er hatte in der gnadenlosen kalten Winterluft zusammengekauert und zitternd den ganzen Tag geschlafen. Er wünschte, er hätte wärmere Kleidung an.

Endlich wach, hatte Gareth in der Ferne ein kleines Bauerndorf entdeckt; eine Handvoll Häuser, Rauch stieg aus den Kaminen auf und Andronicus� Krieger patrouillierten durch das Dorf und die Landschaft darum herum. Gareth hatte geduldig gewartet, bis sie endlich verschwunden waren. Sein Magen schmerzte vor Hunger und er wusste, dass er es zu einem dieser Häuser schaffen musste. Er konnte das Essen auf dem Feuer bis hier riechen.

Gareth sah sich um und rannte los, schwer atmend und außer sich vor Angst. Er war seit Jahren nicht gerannt und keuchte vor Anstrengung. Das ließ ihn erkennen, wie ausgemergelt und kränklich er geworden war. Die Beule an seinem Kopf, wo seine Mutter ihn mit der Büste getroffen hatte, pochte. Er schwor, dass er sie selbst dafür umbringen würde, wenn er das hier überleben sollte.

Gareth rannte in das Dorf und hatte Glück, nicht von den übrigen Kriegern des Empire entdeckt zu werden, die ihm den Rücken zugewandt hatten. Er rannte zum ersten Haus, das er sah, ein einfaches Gebäude mit nur einem Raum, wie die anderen auch, aus dem ein warmes Leuchten drang. Er sah ein junges Mädchen, das vielleicht so alt war wie er selbst, das lächelnd mit einem Berg Fleisch auf einem Teller durch die offene Tür ging, begleitet von einem vielleicht zehnjährigen Mädchen, das wohl ihre Schwester war sein musste – und entschied, dass das ein guter Ort für ihn war.

Gareth folgte ihnen durch die offene Tür, knallte sie hinter ihnen zu und packte das jüngere Mädchen von hinten mit dem Arm um den Hals. Sie schrie und das ältere Mädchen ließ den Teller mit dem Essen fallen, als Gareth ein Messer aus seinem Gürtel zog und es an den Hals der Kleinen hielt.

Sie schrie und weinte.

„Papa!“

Gareth sah sich in dem gemütlichen Haus um, das von Kerzenlicht erhellt war und in dem der Geruch von Essen in der Luft lag. Neben dem älteren Mädchen sah er deren Mutter und Vater, die an einem Tisch standen, und ihn mit vor Furcht und Ärger geweiteten Augen ansahen.

„Bleibt zurück und ich lasse sie am Leben!“, schrie er verzweifelt. Er wich vor ihnen zurück und hielt das junge Mädchen fest.

„Wer bist du?”, wollte das ältere der beiden Mädchen wissen. „Ich bin Sarka und der Name meiner Schwester ist Larka. Wir sind eine friedliche Familie. Was willst du von meiner Schwester? Lass sie in Ruhe!”

„Ich weiß, wer du bist“, sagte der Vater und sah missbilligend auf ihn herab. „Du warst der König. MacGils Sohn.“

„Ich bin der König!“, brüllte Gareth. „Und ihr seid meine Untertanen. Ihr werdet tun, was ich sage!“

Der Vater sah ihn missbilligend an.

„Wenn du der König bist, wo ist dann deine Armee?“, fragte er. „Und wenn du der König bist, warum nimmst du dann ein junges, unschuldiges Mädchen mit deinem königlichen Dolch als Geisel? Ist das etwa derselbe Dolch, den du benutzt hast, um deinen Vater zu töten?“ Der Mann grinste spöttisch „Ich habe die Gerüchte gehört.“

„Du bist sprichst reichlich respektlos“, sagte Gareth. „Nur weiter so, und ich werde sie töten.“

Der Vater schluckte und schwieg.

„Was willst du von uns?“, fragte die Mutter.

„Essen“, sagte Gareth. „Und Unterkunft. Wenn ihr die Krieger alarmiert, werde ich sie umbringen, das verspreche ich dir! Keine Tricks, verstanden? Ihr lasst mich in Ruhe und sie wird leben. Ich will die Nacht hier verbringen. Du! Sarka, bring mir einen Teller mit Fleisch. Und du Weib, fach das Feuer an und bring mir eine Decke! Und bewegt euch langsam“, warnte er.

Gareth beobachtete, wie der Vater der Mutter zunickte. Sarka sammelte das Fleisch, das ihr zuvor heruntergefallen war, wieder auf, während die Mutter ihm eine dicke Decke brachte und sie ihm um die Schultern legte.

Gareth zitterte noch immer vor Kälte und ging langsam zum Kamin hinüber, wo ein prasselndes Feuer ihn wärmte. Er ließ sich davor nieder und hielt Larka, die immer noch weinte, fest umklammert. Sarka kam mit dem Teller.

„Stell ihn hier auf den Boden“, befahl er. „Langsam!“

Mit grimmigem Gesicht befolgte Sarka seinen Befehl und sah besorgt ihre kleine Schwester an, die neben ihm auf dem Boden kauerte.

Gareth war überwältigt von dem Geruch. Er griff mit einer Hand nach einem Stück Fleisch, während er mit der anderen seinen Dolch weiter an Larkas Hals hielt. Er kaute und kaute, schloss seine Augen und genoss jeden Bissen. Er schob sich mehr Essen in den Mund, als er schlucken konnte, sodass es ihm aus den Mundwinkeln hing.

„Wein!“, verlangte er.

Die Mutter brachte ihm einen Weinschlauch und Gareth trank. Er schnappte nach Luft, aГџ und trank und fing an, sich besser zu fГјhlen.

„Und jetzt lass sie gehen!“, sagte der Vater.

„Niemals“, erwiderte Gareth. „Ich werde die Nacht hier verbringen und sie wird bei mir bleiben. So lange ich sicher bin, ist sie es auch. Willst du den Helden spielen, oder willst du, dass deine Tochter lebt?“

Die Eltern sahen sich zögernd und sprachlos an.

„Darf ich dich etwas fragen?“, sagte Sarka. „Wenn du so ein guter König bist, warum behandelst du deine Untertanen dann so?“

Gareth sah sie Гјberrascht an, lehnte sich zurГјck und musste lachen.

„Wer hat behauptet, dass ich ein guter König bin?“




KAPITEL FГњNF


Gwendolyn Г¶ffnete ihre Augen. Sie konnte spГјren, wie sich die Welt um sie herum bewegte, und versuchte herauszufinden, wo sie war. Sie sah, wie an ihr die groГџen roten Torbogen von Silesia vorbeizogen, sah, wie tausende von Empire-Kriegern sie verwundert betrachteten. Sie sah Steffen, der neben ihr herlief, und sie sah den Himmel. Sie bemerkte, dass sie getragen wurde. Sie lag in jemandes Armen.

Sie drehte den Kopf und blickte in die tiefen, leuchtenden Augen von Argon. Argon trug sie und Steffen lief neben ihnen her. Sie gingen durch die Tore von Silesia an tausenden von feindlichen Kriegern vorbei, die vor ihnen zurГјckwichen und sie anstarrten.

Ein weiГџes Leuchten umgab sie und Gwendolyn erkannte, dass es irgendeine Art von Magie sein musste, die all die Krieger zurГјckhielt.

Gwen fühlte Trost und Sicherheit in Argons Armen. Jede Faser ihres Körpers schmerzte, sie war erschöpft und war sich nicht sicher, ob sie in der Lage gewesen wäre zu laufen, wenn sie es versucht hätte. Ihre Augen fielen immer wieder zu und sie nahm die Welt um sich herum nur bruchstückweise wahr. Sie sah ein Stück einer eingestürzten Mauer, einen zusammengebrochenen Wehrgang, ein ausgebranntes Haus und einen Haufen Schutt. Sie sah, wie sie den Hof überquerten und das Tor am Rande des Canyon erreichten. Sie sah, wie sie auch durch dieses Tor gingen und die Krieger zurückwichen.

Sie erreichten den Rand des Canyons und die Plattform, die von MetallspieГџen umgeben war. Als Argon sie betrat, senkte sie sich langsam in die Unterstadt von Silesia herab.

In der Unterstadt angekommen, sah Gwendolyn dutzende von Gesichtern; die besorgten, freundlichen Gesichter von silesischen Bürgern, die zusahen, wie Argon sie an ihnen vorbeitrug. Alle sahen sie mit Verwunderung und Sorge im Blick an, während sie weiter in Richtung des Hauptplatzes herabstiegen.

Als sie ihn erreichten, versammelten sich hunderte von Menschen um sie herum. Sie sah hoch und erblickte bekannte Gesichter: Kendrick, Srog, Godfrey, Brom, Kolk, Atme, dutzende von Silver und Angehörigen der Legion, die sie erkannte… Sie versammelten sich um sie herum, und im Licht der Morgensonne konnte sie die Verzweiflung in ihren Gesichtern sehen, während Nebelschwaden aus dem Canyon hereinwehten und sie eine kalte Brise auf ihrer Haut spüren konnte. Sie schloss die Augen und wollte nichts hören oder sehen. Sie fühlte sich wie ein Ausstellungsstück. Sie fühlte sich, als ob sie erdrückt wurde. Sie fühlte sich erniedrigt. Und sie hatte das Gefühl, dass sie alle enttäuscht hatte.

Sie liefen an allen Leuten vorbei durch die schmalen Gassen, durch einen weiteren Torbogen und erreichten schließlich den kleinen Palast der Unterstadt. Gwen verlor immer wieder das Bewusstsein, als sie den prächtigen roten Palast betraten, über einen Treppenabsatz einen langen Flur entlang und durch ein weiteres Tor hindurch gingen. Schließlich öffnete sich eine kleine Tür und sie betraten eine Kammer.

Sie war schwach beleuchtet. Es schien ein groГџes Schafzimmer zu sein, denn ein Himmelbett stand in der Mitte und in einem alten marmornen Kamin in der Ecke brannte ein Feuer. Mehrere Diener standen herum und Gwendolyn spГјrte, wie Argon sie zum Bett trug und sie sanft darauf legte. Sofort versammelte sich viele Menschen um das Bett herum und sahen besorgt auf sie herab. Argon zog sich zurГјck und verschwand in der Menge. Sie sah sich nach ihm um, blinzelte mehrmals, konnte ihn jedoch nicht mehr finden. Er war fort. Sie konnte das Fehlen seiner schГјtzenden Energie spГјren, die sie wie ein Schild eingehГјllt hatte. Ohne ihn fГјhlte sie sich weniger beschГјtzt und ihr wurde kalt.

Gwen leckte über ihre trockenen Lippen, und einen Moment später spürte sie, wie jemand ihr sanft ein Kissen unter den Kopf schob und ihr einen Kelch mit Wasser an die Lippen hielt. Sie trank und trank, und bemerkte erst jetzt, wie durstig sie war. Sie sah auf und erkannte die Frau, die ihn ihr reichte.

Illepra, die königliche Heilerin. Sie sah auf sie herab und Sorge lag in ihren sanften braunen Augen, als sie ihr mit einem warmen Tuch die Stirn abwischte und ihr die Haare aus dem Gesicht strich. Sie legte ihre Hand auf Gwens Stirn, und sie konnte fühlen, wie eine heilende Energie sie durchströmte. Ihre Augenlider wurden schwer und schlossen sich gegen ihren Willen.


*

Gwendolyn wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als sie die Augen wieder aufschlug. Sie fühlte sich noch immer erschöpft und desorientiert. In ihren Träumen hatte sie eine Stimme gehört, und jetzt hörte sie sie wieder.

„Gwendolyn“, sagte die Stimme. Sie hörte sie in ihrem Geist widerhallen und fragte sich wie oft er ihren Namen gerufen hatte.

Sie sah auf und erkannte Kendrick, der auf sie herabblickte. Neben ihm stand ihr Bruder Godfrey gemeinsam mit Srog, Brom, Kolk und mehreren anderen. Auf der anderen Seite stand Steffen neben ihr. Sie mochten den Ausdruck auf ihren Gesichtern nicht. Sie sahen sie mitleidig an, als wäre sie von den Toten zurückgekehrt.

„Gwen, meine liebe Schwester“, sagte Kendrick und lächelte sie an. Sie konnte die Besorgnis in seiner Stimme hören. „Erzähl uns, was geschehen ist.“

Gwen schüttelte den Kopf. Sie war zu müde, um alles zu erzählen.

„Andronicus“, sagte sie mit heiserer Stimme, die mehr wie ein Flüstern klang. Sie räusperte sich. „Ich habe versucht… mich ihm zu ergeben… im Tausch für die Stadt… habe ihm vertraut. So dumm…“

Sie schüttelte wieder ihren Kopf und Tränen liefen ihr über die Wangen.

„Nein, das war sehr nobel“, korrigierte sie Kendrick und drückte ihre Hand. „Du bist von uns allen hier die Mutigste.“

„Du hast getan, was jeder große Anführer getan hätte“, sagte Godfrey und trat näher.

Sie schГјttelte den Kopf.

„Er hat uns hereingelegt…”, sagte sie, „und mich angegriffen. Er hat McCloud auf mich gehetzt.“

Gwen konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, als sie die Worte ausgesprochen hatte. Sie wusste, dass sich das für einen Herrscher nicht ziemte, aber sie konnte nichts dagegen tun.

Kendrick drГјckte ihre Hand und strich ihr die Haare aus dem Gesicht.

„Sie wollten mich umbringen…“, stammelte sie, „aber Steffen… hat mich gerettet…“

Die Männer sahen Steffen, der loyal neben ihr stand, respektvoll an. Er senkte den Kopf.

„Was ich getan habe, war zu wenig und kam zu spät“, sagte er bescheiden. „Ich war nur einer gegen viele.“

„Dennoch hast du unsere Schwester gerettet und dafür stehen wir ewig in deiner Schuld“, sagte Kendrick.

Steffen schГјttelte den Kopf.

„Meine Schuld gegenüber Eurer Schwester ist viel grösser“, gab er zurück.

Gwen kamen die Tränen.

„Argon hat uns beide gerettet“, erwiderte sie.

Kendricks Blick verfinsterte sich.

„Wir werden Rache für dich nehmen“, sagte er.

„Ich sorge mich nicht um mich“, sagte sie. „Es ist die Stadt… unser Volk… Silesia… Andronicus… Er wird angreifen…“

Godfrey tätschelte ihre Hand.

„Mach dir darüber jetzt keine Gedanken“, sagte er. „Ruh dich aus. Wir werden uns um diese Dinge kümmern. Du bist jetzt in Sicherheit.“

Gwen spürte, wie ihre Augenlider wieder schwer wurden. Sie wusste nicht, ob sie wach war oder träumte.

„Sie muss schlafen“, sagte Illepra und trat schützend zwischen sie und die Männer.

Gwendolyn nahm alles nur noch schattenhaft wahr und verlor wieder das Bewusstsein. In ihrem Geist blitzen Bilder von Thor und von ihrem Vater auf. Es fiel ihr schwer zu unterscheiden, was Realität und was ein Traum war, und sie bekam nur Bruchstücke der Unterhaltung mit, die um sie herum geführt wurde.

„Wie ernst sind ihre Verletzungen?“, hörte sie eine Stimme sagen. Vielleicht war es Kendrick.

Sie spürte, wie Illepra ihr mit der Hand über die Stirn strich. Und die letzten Worte, die sie hörte, bevor sie endgültig davondriftete, waren Illepras: „Ihre körperlichen Verletzungen sind nicht schwer, aber die Wunden an ihrer Seele sind tief.“


*

Als Gwen wieder aufwachte, hörte sie das Knistern eines Feuers. Sie wusste nicht, wieviel Zeit vergangen war. Sie blinzelte mehrmals und sah sich in dem spärlich beleuchteten Raum um. Die Männer waren gegangen. Die einzigen Leute im Raum waren Steffen, der auf einem Stuhl neben ihrem Bett saß, Illepra, die über sie gebeugt dastand und eine Salbe auf ihr Handgelenk auftrug, und eine weitere Person. Er war ein freundlich aussehender alter Mann, der sie besorgt ansah. Er kam ihr bekannt vor, doch sie war sich nicht sicher. Sie fühlte sich so müde, viel zu müde, als hätte sie eine Ewigkeit nicht geschlafen.

„Mylady?“, sagte der alte Mann und beugte sich über sie. Er hielt etwas Großes in beiden Händen und auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es ein ledergebundenes Buch war.

„Ich bin es, Aberthol“, sagte er. „Dein alter Lehrer. Kannst du mich verstehen?“

Gwen schluckte, nickte langsam und versuchte die Augen ein StГјck weit offen zu halten.

„Ich habe stundenlang darauf gewartet, dich zu sehen“, sagte er. „Ich habe gesehen, wie du dich im Schlaf herumgewälzt hast.“

Gwen nickte langsam. Sie erinnerte sich und war dankbar, dass er hier war.

Aberthol öffnete sein großes Buch und sie konnte das Gewicht auf ihrem Schoß spüren. Sie hörte das Rascheln der dicken Seiten, als er sie umblätterte.

„Das ist eines der wenigen Bücher, die ich retten konnte“, sagte er, „bevor sie das Haus der Gelehrten niedergebrannt haben. Es sind die vierten Annalen der MacGils. Du hast es gelesen. In ihnen verbergen sich Geschichten von Eroberungen, Siegen und Niederlagen – doch auch andere Geschichten. Geschichten von großen Anführern, die verwundet wurden. Wunden des Körpers und Wunden des Geistes. Jede vorstellbare Art von Verletzungen, Mylady. Und deswegen bin ich gekommen. Selbst die besten Männer und Frauen haben die unvorstellbarsten Behandlungen, Verletzungen und Folter erleben müssen. Du bist nicht alleine. Du bist eine Speiche im Rad der Zeit. Da gab es zahllose andere, die viel Schlimmeres erleiden mussten als du – und viele, die überlebt haben und große Anführer geworden sind.

„Schäme dich nicht“, sagte er und griff ihre Hand. „Das ist es, was ich dir sagen will. Schäme dich niemals. Du solltest keine Scham hegen, sondern nur Ehre und Stolz auf das, was du getan hast. Du bist die größte Herrscherin, die der Ring je gesehen hat. Und das was geschehen ist, macht dich in keinem Fall schlechter.“

Gwen war tief gerührt von seinen Worten und eine Träne rollte ihr über die Wange. Seine Worte waren genau das, was sie jetzt brauchte, und sie war so dankbar dafür. Ihr Verstand sagte ihr, dass er recht hatte.

Doch es fiel ihr schwer, es zu fühlen. Sie hatte das Gefühl, dass ein Teil von ihr für immer beschädigt war. Sie wusste, dass dem nicht so war, doch sie konnte das Gefühl nicht abschütteln.

Aberthol lächelte, während er ein kleineres Buch hervorzog.

„Erinnerst du dich an das hier?“, fragte er und schlug den ledernen Einband auf. „Das war deine ganze Kindheit lang dein Lieblingsbuch. Die Legenden unserer Väter. Da gibt es eine ganz besondere Geschichte und ich dachte mir, ich könnte sie dir vorlesen, um dir etwas die Zeit zu vertreiben.“

Gwen war gerГјhrt von seiner Geste, aber sie konnte nicht mehr. Traurig schГјttelte sie den Kopf.

„Ich danke dir“, sagte sie mit erstickter Stimme, während eine weitere Träne über ihre Wange lief. „Aber ich kann nicht…“

Er sah enttäuscht aus. Doch dann nickte er. Er verstand sie.

„Ein anderes Mal“, sagte sie niedergeschlagen. „Ich wäre jetzt lieber alleine. Könntet ihr mich bitte allein lassen? Alle?“, sagte sie und wandte sich Steffen und Illepra zu.

Sie standen auf und neigten den Kopf. Dann drehten sie sich um und eilten aus dem Raum.

Gwen fühlte sich schuldig, doch sie konnte nicht anders; sie wollte sich in eine Ecke verkriechen und sterben. Sie hörte ihre Schritte, hörte wie sich die Tür hinter ihnen schloss und blickte auf um sicherzugehen, dass der Raum leer war.

Zu ihrer Гњberraschung war er es nicht: Eine einzelne Figur stand aufrecht im Schatten des Eingangs. Langsam und wГјrdevoll ging sie auf Gwen zu, blieb einen Meter vor ihrem Bett stehen und sah ausdruckslos auf sie herab.

Ihre Mutter.

Gwen war überrascht, sie hier zu sehen, die ehemalige Königin, so würdevoll und stolz wie eh und je, die kühl und ausdruckslos wie immer auf ihre Tochter herabsah. In ihren Augen war kein Mitgefühl, so wie sie es in denen ihrer anderen Besucher gesehen hatte.

„Warum bist du hier?“, fragte Gwen.

„Ich bin gekommen, um dich zu sehen.“

„Aber ich will dich nicht sehen“, sagte Gwen. „Ich will niemanden sehen.“

„Es ist mir egal, was du willst oder nicht“, sagte sie kühl und selbstbewusst. „Ich bin deine Mutter und ich habe das Recht, dich zu sehen, wenn ich es will.“

Gwen fГјhlte den Alten Zorn auf ihre Mutter wieder aufflackern. Sie war die letzte Person, die sie jetzt sehen wollte. Doch sie kannte ihre Mutter und sie wusste, dass sie nicht gehen wГјrde, bis sie gesagt hatte, was sie sagen wollte.

„Dann sprich“, sagte Gwendolyn. „Sprich und geh, wenn du fertig bist.“

Ihre Mutter seufzte.

„Du kannst es nicht wissen“, sagte ihre Mutter, „doch als ich jung war, etwa in deinem Alter, bin ich auf dieselbe Weise angegriffen worden wie du.“

Gwen sah sie Гјberrascht an. Das hatte sie wirklich nicht gewusst.

„Dein Vater hat es gewusst“, fuhr sie fort. „Und ihm war es egal. Er hat mich trotzdem geheiratet. Doch zu der Zeit, als es passiert ist, hatte ich das Gefühl, dass meine Welt zusammengebrochen war. Doch das war sie nicht.“

Gwen schloss ihre Augen und spürte, wie eine weitere Träne über ihre Wange rollte. Sie versuchte, das Thema zu verdrängen. Sie wollte die Geschichte ihrer Mutter nicht hören. Es war zu spät, um von ihrer Mutter Mitgefühl annehmen zu können. Hatte sie etwa erwartet, dass sie einfach so hier hereinmarschieren könnte, nach so vielen Jahren, in denen sie sie kühl und abweisend behandelt hatte, und dass eine teilnahmsvolle Geschichte alles wieder gutmachen würde?

„Bist du fertig?“, fragte Gwendolyn.

Ihre Mutter trat vor. „Nein, ich bin nicht fertig“, sagte sie bestimmt. „Du bist jetzt die Königin – es ist an der Zeit, dass du dich wie eine verhältst.“ Die Stimme ihrer Mutter war eiskalter. Gwen hörte darin eine Stärke, die ihr noch nie zuvor aufgefallen war. „Du bemitleidest dich selbst. Doch jeden Tag, überall auf der Welt, müssen Frauen ein viel schlimmeres Schicksal erleiden als du. Was dir passiert ist, ist bedeutungslos, wenn man das Gesamtbild betrachtet. Verstehst du mich? Es ist nichts.“

Ihre Mutter seufzte.

„Wenn du in der Welt der Macht überleben willst, musst du stark sein. Stärker als die Männer. Die Männer werden dich auf die eine oder andere Weise kriegen. Es geht nicht darum, was mit dir geschieht – es geht darum, wie du es wahrnimmst. Wie du darauf reagierst. Das ist das, worüber du die Kontrolle hast. Du kannst dich zurückziehen und sterben. Oder du kannst stark sein. Das unterscheidet die Mädchen von den Frauen.“

Gwen wusste, dass ihre Mutter versuchte, ihr zu helfen. Doch ihrem Versuch fehlte jegliche Form des Mitgefühls. Gwen hasste Vorträge dieser Art.

„Ich hasse dich“, sagte Gwendolyn. „Ich habe dich schon immer gehasst.“

„Das weiß ich“, sagte ihre Mutter. „Und ich hasse dich genauso. Doch das heißt nicht, dass wir einander nicht verstehen können. Ich will deine Liebe nicht – ich will, dass du stark bist. Diese Welt wird nicht von schwachen oder ängstlichen Menschen regiert – sie wird von jenen regiert, die wenn es hart auf hart kommt, den Kopf schütteln, als wäre nichts geschehen. Du kannst zusammenbrechen und sterben, wenn du das willst. Es ist genug Zeit dafür. Doch das ist langweilig. Sei stark und lebe. Lebe in vollen Zügen. Sei ein Beispiel für andere. Denn eines Tages wirst du ohnehin sterben. Daher solltest du, solange du noch atmest, auch wirklich leben.“

„Lass mich in Ruhe!“, schrie Gwendolyn. Sie konnte kein weiteres Wort mehr ertragen.

Ihre Mutter starrte mit kaltem Blick auf sie herab, und endlich, nach unbehaglichem Schweigen, drehte sie sich um und ging aus dem Raum, stolz wie ein Pfau, und schlug die TГјr hinter sich zu.

In der Stille begann Gwendolyn zu weinen. Sie weinte und weinte. Sie wünschte sich mehr denn je, dass alles vorüber wäre.




KAPITEL SECHS


Kendrick stand auf der breiten Plattform am Rande des Canyons und ließ den Blick über die Nebelwirbel schweifen. Als er in die Weite des Canyons hinausblickte, brach sein Herz. Es zerriss ihn, seine Schwester so zu sehen, und er fühlte sich, als wäre er selbst angegriffen worden. Er hatte bei ihrer Rückkehr in den Gesichtern der Silesier gesehen, dass sie in ihr mehr sahen als nur ihre Anführerin – sie sahen sie als Mitglied ihrer eigenen Familie. Auch sie waren niedergeschlagen. Als ob Andronicus ihnen allen Leid zugefügt hätte.

Kendrick fühlte sich schuldig. Er hätte wissen müssen, dass seine jüngere Schwester etwas Derartiges tun würde. Er wusste, wie stolz und mutig sie war. Er hätte ahnen müssen, dass sie versuchen würde, sich selbst zu opfern, bevor jemand auch nur die Chance hätte, sie aufzuhalten. Und er hätte einen Weg finden müssen, um sie aufzuhalten. Er kannte ihre Natur, wusste wie vertrauensselig sie war, wusste, dass sie ein gutes Herz hatte – und als Krieger wusste er, wie brutal manche Anführer sein konnten. Er war älter und erfahrener als sie und er hatte das Gefühl, sie im Stich gelassen zu haben.

Kendrick fühlte sich auch schuldig dafür, welche Last man in dieser aussichtslosen Situation auf die Schultern einer einzigen Person, einer neu gekrönten Königin, einem sechzehnjährigen Mädchen, gelegt hatte. Sie hätte die Last nicht alleine tragen sollen. Solch eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen, wäre selbst ihm oder seinem Vater nicht leicht gefallen. Gwendolyn hatte unter den gegebenen Umständen das Beste getan, was sie konnte, und vielleicht mehr, als jeder andere von ihnen getan hätte. Kendrick hatte selbst keine Idee, wie sie gegen Andronicus vorgehen sollten. Keiner von ihnen wusste es.

Beim Gedanken an Andronicus lief Kendricks Gesicht vor Wut rot an. Er war ein AnfГјhrer bar jeder Moral, jeder Prinzipien, jeder Menschlichkeit. Es war Kendrick klar, dass sie, wenn sie jetzt kapitulieren wГјrden, alle das gleiche Schicksal erleiden wГјrden. Andronicus wГјrde jeden einzelnen von ihnen umbringen oder versklaven.

Doch etwas hatte sich verändert. Etwas Neues lag in der Luft. Kendrick konnte es in den Augen der Männer sehen und er konnte es selbst spüren. Die Silesier waren nicht länger auf das bloße Überleben aus, sie wollten sich nicht nur verteidigen. Sie wollten Rache.

„SILESIER!“, brüllte eine Stimme.

Die Menge verstummte und sah nach oben. In der Oberstadt am Rande des Canyons stand Andronicus umringt von seinen Schergen und starrte auf sie herab.

„Ich werde euch vor die Wahl stellen!“, donnerte er. „Gebt mir Gwendolyn und ich werde euch am Leben lassen! Wenn nicht, dann wird ab Sonnenuntergang Feuer auf euch herabregnen und nicht einer von euch wird überleben!“

Er machte eine Pause und grinste.

„Das ist ein sehr großzügiges Angebot. Überlegt nicht zu lange!“

Die Silesier wandten sich langsam von ihm ab und sahen sich an.

Srog trat vor.

„Meine lieben Silesier!“, donnerte seine Stimme über eine wachsende Menge von Kriegern hinweg. Er sah ernster aus als Kendrick ihn je zuvor gesehen hatte. „Andronicus hat unsere geliebte und hoch geschätzte Anführerin angegriffen. Die Tochter unseres geliebten Königs MacGil, die selbst eine großartige Königin ist. Damit hat er jeden einzelnen von uns angegriffen. Er hat versucht, unsere Ehre zu beschmutzen – doch er hat nur sich selbst beschmutzt!“

„AYE!“ schrie die Menge. Die Männer waren unruhig und griffen nach ihren Schwertern. In ihren Augen loderte Feuer.

„Kendrick“, sagte Srog und wandte sich ihm zu. „Was schlägst du vor?“

Kendrick sah den Männern vor sich in die Augen, langsam, einem nach dem anderen.

„WIR GREIFEN AN!“, schrie Kendrick und in seinen Augen loderte ungezügelte Leidenschaft.

In der Menge erhob sich zustimmender Jubel. Immer mehr Männer strömten auf den Platz und er konnte keine Furcht in ihren Augen erkennen. Er konnte sehen, dass jeder einzelne von ihnen bereit war, bis zum Tod zu kämpfen.

„WIR WERDEN WIE MÄNNER STERBEN, NICHT WIE HUNDE!“, schrie Kendrick.

Trotziger Jubel brandete auf: „AYE!“, riefen die Männer zurück.

„WIR KÄMPFEN FÜR GWENDOLYN! FÜR ALL UNSERE MÜTTER UND SCHWESTERN UND FRAUEN!“

„AYE!“

„FÜR GWENDOLYN!“, schrie Kendrick.

„FÜR GWENDOLYN!“, antwortete die Menge.

Die Energie, die über dem Platz lag, war greifbar und es strömten immer mehr Männer herbei.

Mit einem letzten Schrei folgten sie Kendrick und Srog, als sie allen voran die Treppen zur Oberstadt hinaufstГјrmten. Die Zeit war gekommen, Andronicus zu zeigen, aus welchem Holz die Silver geschnitzt waren.




KAPITEL SIEBEN


Thor stand mit Reece, O’Connor, Elden, Conven, Indra und Krohn am Fluss und alle sahen auf Convals Leichnam herab. In der Luft lag eine traurige Stimmung; Thor konnte es spüren. Das Gewicht lastete schwer auf seinen Schultern, zog in nach unten, während er auf seinen toten Waffenbruder hinuntersah. Conval. Tot. Es schien unmöglich zu sein. Sie alle hatten sich zusammen auf diese Reise begeben und kannten sich schon seit langer Zeit. Er hätte sich die bisherige Reise niemals zu fünft vorstellen können. Convals Tod erinnerte ihn an seine eigene Sterblichkeit.

Der Gedanke an all die Zeiten, in denen Conval für ihn dagewesen war, ihn auf jedem Schritt seiner Reise begleitet hatte – vom ersten Tag an, als Thor in die Legion eingetreten war. Er war wie ein Bruder für ihn gewesen. Conval hatte sich für ihn eingesetzt, hatte immer ein nettes Wort für ihn gehabt. Anders als einige der anderen, hatte er Thor von Anfang an als Freund akzeptiert. Ihn tot daliegen zu sehen – besonders in Folge einer Fehleinschätzung von ihm selbst – bereitete Thor Bauchschmerzen. Wenn er niemals diesen drei Brüdern vertraut hätte, wäre Conval jetzt vielleicht noch am Leben.

Für Thor waren Conval und Conven immer unzertrennlich gewesen, die zwei eineiigen Zwillinge, von denen einer die Sätze des anderen vollenden konnte. Er konnte sich nicht vorstellen, welchen Schmerz Conven gerade fühlen musste. Conven sah aus, als wäre er nicht mehr die Person, die er heute Morgen noch gewesen war. Der fröhliche und unbeschwerte Conven, ausgelöscht von demselben Schwerthieb, der seinen Bruder getötet hatte.

Sie standen still am Rande des Schlachtfeldes und die Leichen der feindlichen Krieger stapelten sich um sie herum. Sie standen da wie angewurzelt und sahen auf Conval herab und keiner von ihnen war bereit weiterzuziehen, ohne dass er ein anständiges Begräbnis erhalten hatte. Sie hatten einige schöne Felle an den getöteten Offizieren des Empire gefunden, sie ihnen abgenommen und Convals Körper damit eingewickelt. Sie hatten ihn auf dem Boot, mit dem sie hergekommen waren, aufgebahrt. Sein Körper war lang ausgestreckt und sein Blick gen Himmel gerichtet. Das Begräbnis eines Kriegers.

Sie waren eine ganze Weile so dagestanden, jeder Einzelne von ihnen in seine eigenen Gedanken versunken, und keiner wollte ihn gehen sehen. Indra bewegte ihre Hand in Kreisen über Convals Kopf und sang mit geschlossenen Augen etwas in einer Sprache, die er nicht verstehen konnte. Er konnte jedoch sehen, wie viel er ihr bedeutete, als sie die traurige Zeremonie zelebrierte, und Thor spürte beim Klang ihres Gesangs ein Gefühl des Friedens. Keiner der Jungen wusste, was er hätte sagen sollen, und so standen sie alle stumm und niedergeschlagen da und ließen Indra gewähren.

Schließlich schien Indra mit der Zeremonie fertig zu sein und sie trat zurück. Conven trat vor und Tränen liefen über seine Wangen, als er neben seinem Bruder niederkniete. Er legte seine Hand auf die Hand seines toten Bruders und senkte den Kopf.

Dann stand er auf und gab dem Boot einen Stoß. Es tauchte in das stille Wasser des Flusses, und dann, als ob die Gezeiten es verstanden, nahm die Strömung plötzlich zu und zog das Boot langsam und sanft weg. Es tanzte auf den leichten Wellen hinaus auf den Fluss und plötzlich, als ob die Strömung verstand, was geschah, begann das Boot langsam und sanft von ihnen wegzutreiben. Es driftete immer weiter von der Gruppe weg und Krohn begann zu winseln. Aus dem Nichts zog plötzlich eine Nebelwand auf und verschluckte das Boot. Es war verschwunden.

Thor fühlte sich, als wäre auch sein Körper in die Unterwelt gesaugt worden.

Langsam drehten sich die Jungen um und lieГџen den Blick Гјber das Schlachtfeld und die Ebene, die dahinter lag, schweifen. Hinter ihnen lag die Unterwelt, aus der sie gerade gekommen waren, auf der einen Seite eine weite Grasebene und auf der anderen Seite lag nichts als leeres Г–dland, eine heiГџe WГјste. Sie standen an einer Kreuzung.

Thor wandte sich Indra zu.

„Um den Nimmersee zu erreichen, müssen wir die Wüste durchqueren?“, fragte Thor.

Sie nickte.

„Gibt es keinen anderen Weg?“, hakte er nach.

Sie schГјttelte den Kopf.

„Es gibt andere Wege, aber sie sind viel länger. Du würdest Wochen verlieren. Wenn du darauf hoffst, die Diebe einzuholen, dann ist das der einzige Weg für dich.“

Die anderen starrten lange angestrengt in die Einöde hinaus. Die Sonnen brannten unbarmherzig auf sie herab.

„Sie sieht gnadenlos aus“, sagte Reece, der an Thors Seite getreten war.

„Ich weiß von niemandem, der jemals versucht hätte, sie zu durchqueren, und es überlebt hat“, sagte Indra. „Es ist eine unendliche Weite voller feindseliger Kreaturen.“

„Wir haben nicht genug Vorräte“, gab O’Connor zu bedenken. „Wir würden es niemals schaffen.“

„Und doch ist es der Weg zum Schwert“, sagte Thor.

„Angenommen, das Schwert existiert noch“, sagte Elden.

„Wenn die Diebe den Nimmersee erreicht haben“, sagte Indra, „dann ist dein kostbares Schwert für immer verloren. Ihr würdet eure Leben für einen Traum riskieren. Das Beste, was ihr jetzt tun könnt, ist umzukehren, und in den Ring zurückzugehen.“

„Wir werden nicht umkehren“, sagte Thor entschlossen.

„Besonders nicht jetzt“, fügte Conven hinzu und trat vor. In seinen Augen brannte ein Feuer, angefacht von Trauer.

„Wir werden das Schwert finden oder beim Versuch, es zu finden, sterben“, sagte Reece.

Indra schГјttelte den Kopf und seufzte.

„Ich hätte nichts anderes von euch erwartet“, sagte sie. „Tollkühn bis zum Schluss.“


*

Thor und die anderen liefen Seite an Seite durch das Ödland und blinzelten in die erbarmungslose Sonne, schwer schnaufend vor Hitze. Er hätte gedacht, dass er froh sein würde, endlich der Unterwelt entkommen zu sein, aus der immerwährenden Finsternis, um die Sonnen wieder zu sehen. Doch er war von einem Extrem ins nächste gekommen. Hier, in der Wüste, gab es nichts als Sonne: Gelbe Sonnen am gelben Himmel, die ohne Unterlass auf ihn herabbrannten, und es gab keinen Ort, um sich vor ihnen zu verstecken. Sein Kopf schmerzte und ihm war schwindelig. Er schlurfte und hatte das Gefühl, schon eine ganze Ewigkeit marschiert zu sein. Als er sich umsah, bemerkte er, dass es den anderen nicht anders erging.

Sie waren erst einen halben Tag lang unterwegs und er konnte sich nicht vorstellen, wie sie das noch länger durchhalten sollten. Er sah Indra an, die ihre Kapuze über den Kopf gezogen hatte, und fragte sich, ob sie vielleicht recht gehabt hatte. Vielleicht war es tollkühn gewesen, es überhaupt zu versuchen. Doch er hatte geschworen, dass er das Schwert finden würde – und welche Wahl hatten sie denn überhaupt?

Während sie weitergingen, wirbelten ihre Füße kleine Staubwolken auf, die das Atmen nur noch weiter erschwerten. Am Horizont erwartete sie nichts weiter als noch mehr ausgedörrter, staubiger Boden, eine wenig einladende Ebene so weit das Auge reichte. Nicht die kleinste Andeutung von Struktur, Straße, oder Berg – oder irgendetwas. Nichts als Wüste. Thor fühlte sich, als ob er ans Ende der Welt gekommen wäre.

Thor fand in einer einzigen Sache Trost: Zumindest waren sie sich jetzt, zum ersten Mal auf ihrer Reise, sicher, wohin sie gingen. Sie waren nicht länger von den Lügen der drei Brüder und ihrer dummen Karte eingelullt; nun hörten sie auf Indra, und er vertraute ihr mehr als er ihnen getraut hatte. Er fühlte, dass sie sie in die richtige Richtung führte – er wusste nur nicht, ob sie die Reise überleben würden.

Thor begann, ein leises Rauschen zu hören, und als er zu Boden blickte, sah er wie der Sand um sie herum in Kreisen wirbelte. Die anderen sahen es auch. Thor war verwirrt, als er beobachtete, wie sich der Sand langsam sammelte und die Kreise zu seinen Füssen stärker wurden und sich dann gen Himmel erhoben. Eine Staubwolke erhob sich vom Wüstenboden und stieg immer höher.

Thor hatte plötzlich das Gefühl, dass sein gesamter Körper austrocknete. Er fühlte sich, als ob jeder Tropfen Wasser aus seinem Körper gesaugt wurde, und er sehnte sich nach Wasser, er war noch nie in seinem Leben so durstig gewesen.

Panisch griff er nach seinem Wasserschlauch, hob ihn an seine Lippen und spritzte etwas Wasser in seinen Mund. Doch als er es tat, tropfte das Wasser nicht nach unten, sondern wurde in Richtung des Himmels gezogen, anstatt sein Lippen zu benetzen.

„Was ist das?“, rief Thor Indra zu und keuchte.

Sie beobachtete Г¤ngstlich den Himmel und zog ihre Kapuze zurГјck

„Umgekehrter Regen!“, rief sie.

„Was?“, schrie Elden über das Rauschen hinweg und hielt sich den Hals.

„Es ist so, als ob es nach oben regnen würde. Alle Feuchtigkeit wird gen Himmel gezogen.“

Thor sah zu, wie der Rest seines Wassers aus seinem Schlauch nach oben gesogen wurde, wie er austrocknete und sich zusammenzog, bis er schließlich als sprödes Stück Leder zu Boden fiel.

Thor fiel auf die Knie, griff an seinen Hals, er konnte kaum noch atmen. Um ihn herum taten die anderen dasselbe.

„Wasser!”, jammerte Elden neben ihm.

Sie hörten ein lautes Grollen, wie der Klang von tausend Donnerschlägen, und Thor blickte auf und sah, wie sich der Himmel verdunkelte.

„DUCKT EUCH!“, schrie Indra. „Der Himmel dreht sich!“

Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, als sich der Himmel zu Г¶ffnen schien und eine Wand aus Wasser Гјber sie herunterbrach und Thor und die anderen mit der Kraft einer Flutwelle umwarf.

Thor wurde in der Welle hin und hergeworfen und wusste nicht, wie ihm geschah. Schließlich landete er unsanft auf dem Wüstenboden, während die Welle weiterrollte. Prasselnder Regen folgte der Welle und Thor legte seinen Kopf in den Nacken und trank, bis er endlich keinen Durst mehr verspürte.

Langsam kamen alle wieder auf die Beine, atmeten schwer und sahen ziemlich mitgenommen aus. Sie sahen einander an: sie hatten wieder einmal Гјberlebt. Als Schock und Angst verklungen waren, mussten sie laut lachen.

„Wir leben!“, schrie O’Connor.

„Ist das das Schlimmste, was die Wüste zu bieten hat?“, rief Reece, glücklich, noch am Leben zu sein.

Indra schГјttelte ernst den Kopf.

„Ihr freut euch zu früh“, sagte sie und sah besorgt aus. „Nach dem Regen kommen die Tiere der Wüste zum Trinken.“

Ein fürchterliches Geräusch ertönte, und Thor sah zu Boden und sah mit Schrecken, wie sich eine Armee von kleinen Kreaturen aus dem Sand erhob und auf sie zu gewuselt kam. Thor sah über seine Schulter und sah hinter sich einen See, den der Regen hinterlassen hatte, und bemerkte, dass sie diesen durstigen Kreaturen genau im Weg standen.

Dutzende Lebewesen, die Thor noch nie zuvor gesehen hatte, kamen in seine Richtung gelaufen. Riesige gelbe Tiere, die Büffeln ähnelten, jedoch doppelt so groß waren, mit vier Armen und vier Hörnern kamen auf zwei Beinen auf sie zu gerannt. Sie rannten auf eine seltsame Art und Weise – immer wieder einmal ließen sie sich auf alle viere fallen und stießen sich wieder ab, um auf zwei Beinen weiter zu rennen. Sie brüllten, als sie auf sie zu liefen, und ihre Schritte ließen den Boden erzittern.

Thor und die anderen zogen ihre Schwerter und bereiteten sich darauf vor, sich zu verteidigen. Als sich die ersten der Tiere näherten, wich Thor aus, in der Hoffnung, dass sie einfach an ihnen vorbei zum Wasser laufen würden.

Doch die Kreatur senkte ihren Kopf, um Thor mit ihren Hörnern aufzuspießen und verpasste ihn knapp als Thor zur Seite rollte. Sehr zu Thors Schrecken, war es damit nicht zufrieden – es drehte wütend um und stürmte erneut auf ihn zu. Es schien mehr darauf erpicht zu sein, ihn tot zu sehen, als zum Trinken an das Wasserloch zu kommen.

Während es mit gesenkten Hörnern wieder auf ihn zugestürzt kam, sprang Thor hoch und schlug eines seiner Hörner mit dem Schwert ab. Das Tier brüllte auf, sprang auf zwei Beine und fuhr herum, versetzte Thor einen Schlug und schickte ihn damit zu Boden.

Es wollte Thor niedertrampeln, doch Thor rollte aus dem Weg und die FГјГџe der Kreatur hinterlieГџen einen tiefen Eindruck im sandigen Boden und wirbelten eine dicke Staubwolke auf. Wieder versuchte das Tier ihn niederzutrampeln, doch Thor hob sein Schwert und rammte es ihm in die Brust.

Es schrie erneut auf, als das Schwert es bis zum Knauf durchbohrte, und Thor rollte darunter hervor, gerade noch rechtzeitig, bevor es tot zu Boden fiel und eine neue Staubwolke aufwirbelte. Thor hatte Glück. Das Gewicht der Kreatur hätte ihn sicherlich erdrückt.

Thor stand auf und sah, wie eine weitere Kreatur auf ihn zugestürmt kam. Er sprang aus dem Weg, doch nicht schnell genug, sodass ein Horn seinen Arm aufritzen konnte. Er schrie vor Schmerzen auf und ließ sein Schwert fallen. Nun ohne Schwert, griff Thor nach seiner Schleuder, lud sie mit einem Stein und schleuderte ihn gegen das Biest. Es stolperte und schrie als der Stein ihm ein Auge ausschlug – doch es rannte weiter. Thor versuchte ihm auszuweichen, indem er im Zickzack davonlief, doch es war zu schnell. Er konnte nicht weiter ausweichen und war sich sicher, dass ihn jeden Moment eines der Hörner durchbohren würde. Er sah zu seinen Legionsbrüdern hinüber und sah, dass es ihnen nicht viel besser ging und auch sie vor den Biestern davonliefen.

Das Biest holte auf und war nur noch wenige Zentimeter entfernt – Thor konnte sein Schnaufen hören und seinen widerlichen Gestank riechen – und es senkte die Hörner. Thor bereitete sich auf den Aufprall vor.

Plötzlich kreischte das Biest auf. Thor drehte sich um und sah, wie es hoch in die Luft gehoben wurde. Er sah verwirrt auf, verstand nicht, was vor sich ging – und sah hinter dem Biest ein riesiges lindgrünes Monster, dreißig Meter groß, mit Reihen von messerscharfen Zähnen. Es hielt das Biest zwischen seinen Kiefern, als wäre es nichts, und hob seinen Kopf, um es in sein Maul fallen zu lassen. Es begann zu kauen, schlang es in drei Bissen herunter und leckte sich die Lefzen. Um Thor herum drehten sich die gelben Kreaturen um und rannten vor dem Monster davon. Es jagte hinter ihnen her und sein riesiger langer Schwanz peitschte Thor von hinten und schickte ihn und die anderen unsanft zu Boden. Doch das Monster jagte an ihnen vorbei. Es schien weitaus größeres Interesse an den gelben Kreaturen zu haben, als an ihnen.

Thor wandte sich um und blickte die anderen an, die alle sprachlos dasaГџen und ihn ansahen.

Indra stand da und schГјttelte den Kopf.

„Das war noch nicht alles“, warnte sie. „Es wird noch viel schlimmer kommen.“




KAPITEL ACHT


Kendrick lief langsam über den ausgebrannten Innenhof der Oberstadt. An seiner Seite waren Srog, Brom, Kolk, Atme, Godfrey und ein Dutzend Silver. Sie gingen langsam und vorsichtig, die Hände hinter dem Kopf erhoben, als Zeichen der Kapitulation.

Die kleine Gruppe ging an tausenden von Empire-Kriegern vorbei, die sie neugierig angafften, und auf Andronicus zu, der sie am äußeren Stadttor erwartete. Kendrick spürte, dass alle Augen auf sie gerichtet waren und die Anspannung in der Luft war greifbar. Obwohl sich tausende von Kriegern im Innenhof befanden, war es so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören können.

Vor einer Stunde hatte Kendrick seine Andronicus Kapitulation angekГјndigt und seine Gruppe war zusammen nach oben gestiegen. Sie zeigten allen, dass sie keine Waffen trugen, als sie gemeinsam durch die Massen von Kriegern des Empire liefen, und formell vor Andronicus niederknieten. Kendricks Herz schlug wild und sein Hals wurde trocken, als er sah wie viele tausend feindliche Krieger sie umringt hatten.

Kendrick und die anderen hatten ein Schauspiel geprobt, und als sie sich Andronicus näherten, sah er zum ersten Mal, wie riesig und wild er aussah. Er betete, dass ihr Plan funktionieren würde. Wenn nicht, würde ihr Leben gleich vorbei sein.

Sie gingen mit klappernden Sporen, bis schließlich einer von Andronicus� Generälen vortrat, eine imposante Figur mit finsterem Blick. Er streckte seine Hand aus und stieß Kendrick an. Sie wurden ungefähr fünf Meter vor Andronicus angehalten, wahrscheinlich aus Vorsicht. Sie waren klüger, als Kendrick erwartet hatte. Er hatte gehofft, dass sie ihn bis zu Andronicus marschieren lassen würden, doch nun war klar, dass sie das nicht zulassen würden. Kendricks Herz schlug schneller und er hoffte, dass der Abstand ihren Plan nicht vereiteln würde.

Als sie schweigend Andronicus gegenüber standen, räusperte sich Kendrick.

„Wir sind gekommen, um vor dem Großen Andronicus zu kapitulieren“, sagte Kendrick mit donnernder Stimme und versuchte dabei, so überzeugend wie möglich zu klingen, während er regungslos neben den anderen stand und Andronicus in die Augen sah.

Andronicus Finger spielten mit den Schrumpfköpfen an seiner Halskette.

„Wir akzeptieren deine Bedingungen“, fuhr Kendrick fort. „Wir gestehen unsere Niederlage ein.“

Andronicus, der auf einer riesigen steinernen Bank saß, lehnte sich ganz leicht vor, und sah mit etwas, das fast wie ein Lächeln aussah, auf sie herab.

„Ich weiß“, sagte er und seine Stimme hallte über den Hof. „Wo ist das Mädchen?“

Kendrick war auf die Frage vorbereitet.

„Wir sind die ranghöchsten Offiziere mit den meisten Auszeichnungen“, antwortete Kendrick. „Wir sind als erste gekommen, um unsere Kapitulation zu verkünden. Wenn wir fertig sind, werden mit Eurer Erlaubnis die anderen folgen.“

Kendrick musste innerlich darüber schmunzeln. „Mit Eurer Erlaubnis“ klang gut und ließ ihn nur noch glaubwürdiger klingen. Er hatte vor langer Zeit seine Lektion von einem seiner militärischen Berater gelernt: Wenn man mit einem Anführer zu tun hat, sollte man immer sein Ego ansprechen.

Die Fehler, die ein Kommandant machen konnte, wenn man ihm ausreichend schmeichelte, waren grenzenlos.

Andronicus lehnte sich ein wenig zurГјck und verzog kaum seine Miene.

„Natürlich werden sie das“, sagte er. „Ansonsten wäre es ziemlich dumm von euch, hierherzukommen.“

Andronicus saГџ da und starrte auf sie herab, als ob er um eine Entscheidung ringen wГјrde. Es schien, als ob er spГјren konnte, dass irgendetwas nicht stimmte. Kendricks Herz schlug ihm bis zum Hals.

Endlich, nach langem Warten, schien sich Andronicus entschieden zu haben.

„Ihr alle!“ sagte er. „Tretet vor und kniet nieder.”

Sie sahen Kendrick an und er nickte.

Gemeinsam traten sie vor und knieten vor Andronicus nieder.

„Sprecht mir nach“, befahl dieser. „Wir die Repräsentanten von Silesia…“

„Wir die Repräsentanten von Silesia…“

„Kapitulieren hiermit vor dem Großen Andronicus…“

„Kapitulieren hiermit vor dem Großen Andronicus…“

„Und schwören ihm die Treue bis ans Ende unseres Lebens und darüber hinaus…“

„Und schwören ihm die Treue bis ans Ende unseres Lebens und darüber hinaus…“

„Und schwören, ihm bis ans Ende unserer Tage als Sklaven zu dienen.“

Kendrick fiel es schwer, die letzten Worte Гјber die Lippen zu bringen, und er schluckte schwer, bis er sie schlieГџlich Wort fГјr Wort ausspie:

„Und schwören, ihm bis ans Ende unserer Tage als Sklaven zu dienen.“

Ihm war Гјbel dabei, und sein Herz klopfte bis zum Hals. Endlich hatten sie das hinter sich gebracht.

Eine angespannte Stille folgte, bis Andronicus schließlich lächelte.

„Ihr MacGils seid schwächer, als ich gedacht habe“, ätzte er. „Es wird mir großes Vergnügen bereiten, euch zu versklaven und euch die Regeln des Empire beizubringen. Nun geht und bringt mir das Mädchen, bevor ich meine Meinung ändere und euch alle an Ort und Stelle umbringe.“

Während Kendrick da kniete, zog sein gesamtes Leben vor seinen Augen vorüber. Er wusste, dass dies einer der wichtigsten Augenblicke seines Lebens war. Wenn alles so verlief, wie er es hoffte, würde er später einmal die Geschichte dieses Tages seinen Enkelkindern erzählen. Wenn nicht, würde er in wenigen Augenblicken tot sein. Er wusste, dass ihre Chancen unglaublich schlecht standen, aber das musste er in Kauf nehmen. Für sich selbst, für die MacGils, für Gwendolyn. Jetzt oder nie.

Mit einer schnellen Bewegung griff Kendrick hinter seinen RГјcken, wo unter seinem Hemd ein kurzes Schwert versteckt war, sprang auf, streckte es hoch und schrie:

„SILESIER! ANGRIFF!!“

Kendrick schleuderte sein Schwert mit aller Kraft in Richtung von Andronicus Brust. Es war ein gut gezielter Wurf von gewaltiger Wucht, der jeden anderen Krieger mit Leichtigkeit getötet hätte.

Doch Andronicus war nicht wie jeder andere Krieger. Kendrick war ein Stückchen zu weit weg und Andronicus ein klein wenig zu schnell. Es gelang ihm, sich gerade noch rechtzeitig zu ducken. Er schrie vor Schmerz auf, als die Klinge seinen Arm streifte und er zu bluten begann. Das Schwert verfehlte sein Ziel und tötete stattdessen einen General, der ein Stück weit hinter ihm stand.

Auf Kendricks Schrei hin brach Chaos aus. Die anderen um ihn herum zogen ihrerseits ihre verborgenen Schwerter und töteten die feindlichen Krieger, die um sie herum standen. Brom zog einen Dolch und rammte ihn einem ihrer Wachen, der besonders nahe stand, in den Nacken. Kolk zückte eine kurze Schleuder, platzierte einen Stein und traf einen entfernt stehenden Krieger, der einen Bogen gespannt hielt, gerade bevor er seinen Pfeil abschießen konnte.

Godfrey warf einen Dolch. Seine Zielgenauigkeit war nicht so gut wie die der anderen, und der Dolch traf sein Ziel nicht in die Brust, sondern lediglich ins Bein.

Um sie herum erhoben sich die Schreie von verletzten Kriegern des Empire, von denen keiner den Angriff erwartet hatte.

Auf Kendricks Schrei hin kamen von allen Seiten des Hofes plötzlich silesische Krieger aus Mauerritzen und Ecken hervor. Mit lautem Schlachtgeschrei stürzten sie sich in dem Kampf, zielten und verdunkelten mit ihren Pfeilen den Himmel. Tausenden von Pfeilen flogen über den Hof und trafen die Empire-Krieger aus allen Richtungen. Der Angriff kam von so vielen Seiten, dass sie nicht wussten, wo sie sich zuerst hinwenden sollten. Voller Panik griffen sich viele von ihnen gegenseitig an.

Kendrick war begeistert, dass sein Plan so gut funktionierte. Srog hatte ihm die versteckten Tunnel gezeigt, die überall die Unterstadt mit der Oberstadt verbanden. Sie waren für den Fall einer Belagerung gebaut worden, als letzte Möglichkeit für einen Überraschungsangriff. Dort hatten die Silesier geduldig auf seinen Befehl gewartet.

Tausende kamen nun hervor und schossen mit solcher Geschwindigkeit und Zielgenauigkeit, dass den Kriegern des Empire keine Gelegenheit blieb, zu reagieren. Kendrick stürzte sich in den Kampf, nachdem er das Schwert eines toten Feindes ergriffen hatte und griff die ihm am nächsten stehenden Krieger an. Sein Freund Atme und die anderen taten es ihm nach. Unter den Kriegern des Empire brach Panik und Chaos aus. Sie rannten in alle Richtungen davon, wobei sie nicht einmal wussten, in welche Richtung sie laufen sollten.

Die Silesier gewannen die Oberhand. Kendrick tötete mindestens ein Dutzend Männer, bevor er auch nur ein einziges Mal seinen Schild heben musste, um einen Schlag abzuwehren. Atme kämpfte Rücken an Rücken mit ihm, so wie sie es immer taten, und richtete mindestens genauso viel Schaden an. Mit jedem Schlag dachte er an Gwendolyn. An Rache.

Die Empire-Krieger waren so perplex, dass sie alle zu den Toren des äußeren Hofs rannten. Die Menge drängelte sich über Andronicus und seine Männer hinweg, trampelten sie nieder oder schob sie einfach mit sich. Wie eine Herde wurden sie alle durch das Haupttor getrieben. Jeder Einzelne von ihnen versuchte verzweifelt, den Pfeilen zu entkommen, die weiter aus allen Richtungen auf sie herabregneten. Als den Silesiern die Pfeile ausgingen, zogen sie ihre Schwerter und stürzten sich ins Gemenge.




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